Der unbesiegte Sonnengott - Einleitung
Die Niederkunft des Sol Invictus
Auferstandene junge Sonne
Siegreich triumphierendes Licht
Wie der Phoenix aus der Asche
Baldur, Christus, Osiris, Tiu
Mein Ich-Bewusstsein
Mein Selbst - Dein Du
ALAF SAL FENA
Dieser Textauszug entstammt dem Lied einer deutschen Neo-Folk Musikgruppe, das dem „unbesiegten Sonnengott“ gewidmet ist.(1) Auffällig ist hier die Nennung von Gottheiten, die für gewöhnlich gänzlich unterschiedlichen Kulturkreisen zugeschrieben werden: Baldur der germanischen Mythologie, Christus dem Christentum, Osiris der ägyptischen Mythologie und Tiu wiederum der nordischen Götterwelt. Ist dies bloß ein Ausdruck künstlerischer Freiheit oder offenbart sich hier vielleicht doch tiefer reichendes Wissen? Doch was ist es, was diese auf den ersten Blick so unterschiedlichen Gottheiten verbindet?
Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, ist es erforderlich, bis auf die Anfänge des menschlichen Glaubens zurückzuschauen.
Unzweifelhaft hat sich der Mensch bereits in frühester Zeit Gedanken über das Leben und den Tod gemacht. Was geschah mit verstorbenen Freunden und Verwandten? Wer gab den Vorfahren die Herrschaft über das Feuer und was genau ist das Feuer? Diese Fragen führten zwangsläufig zur Entstehung religiöser Vorstellungen - insbesondere zum bereits für den Homo Erectus nachweisbaren Glauben an ein Weiterleben nach dem Tode und zur Verehrung einer höheren Macht, die sich gemeinhin als „Gott“ oder „Götterpantheon“ manifestierte.(2)
Bezüglich der Entwicklung dieser religiösen Gedanken stehen sich zwei Theorien gegenüber: Die These, die von einer kontinuierlichen Entwicklung ausgeht, die als früheste Formen die animistische Verehrung von abstrakten Dingen enthielt, wie des Feuers, von Tieren oder Pflanzen; diese führte dann zu einer Vergöttlichung dieser Objekte und einem Polytheismus, bei dem verschiedene Götter diesen Objekten zugedordnet wurden und so für verschiedene Bereiche des Lebens zuständig waren. Schließlich hätte diese Entwicklung ihren Höhepunkt im Monotheismus gefunden, wie er heue bei allen „Kulturvölkern“ verbreitet ist.
Die andere These negiert indes diese geradlinige Entwicklung und hält einen frühen monotheistischen Gottesbegriff für möglich, aus dem sich in einer Degenerationserscheinung erst später polytheistische Vorstellungen entwickelten.(3)
Wie sich die Entwicklung der Religion in frühesten Zeiten vollzogen hat, bleibt in beiden Modellen weitestgehend Spekulation, die zwar anhand von Analogieschlüssen zu „primitiven“ Völkern der Jetztzeit eine gewisse Wahrscheinlichkeit gewinnen kann; dennoch sollte man sich davon nicht zu sehr verleiten lassen, denn Völker, die auf der gleichen Kulturstufe stehen, was die Werkzeuge u.ä. betrifft, müssen nicht zwangsläufig auch die selben Denk- oder Glaubensprozesse entwickeln.(4)
Einige Annahmen genießen aber immerhin eine hohe Wahrscheinlichkeit. Zu Beginn dürfte vor allem der Prozeß der Geburt das Staunen des sich erstmals bewußt werdenden Menschen hervorgerufen haben. Der Frau als Gebärerin, als Spenderin des Lebens, als Garantin der eigenen und der Sippe Existenz, dürfte daher schon früh eine religiöse Überhöhung, eine Beiordnung einer vielleicht schon als göttlich zu bezeichnenden Schutzmacht zuteil geworden sein.(5) Die frühesten plastischen Darstellungen dieses „Glaubens“ liegen in Gestalt sogenannter „Venusstatuen“ vor, deren früheste Formate vor mehr als 30 000 Jahren hergestellt wurden.
Es folgte die Erkenntnis der Bedeutung des Feuers als Spender von Wärme und Licht sowie als Hilfsmittel zur Zubereitung von Speisen, das dann ebenfalls „vergöttlicht“ worden sein dürfte. Wann dieser Schritt von der Verwendung des Feuers - nachweislich seit etwa 600 000 v.Zw. - zur Vorstellung einer dahinter stehenden Macht anzusetzen ist, bleibt ungewiß. Sicher ist aber, daß sich diese Vorstellung bereits in der Altsteinzeit ausgebildet haben muß und noch lange nachwirkte. Schriftliche Überlieferungen einer Feuergottheit finden wir etwa bei den Indoariern, die diese Gottheit mit dem Namen „Agni“ bezeichneten.
Bereits Ende des 19. Jahrhunderts hatte der deutsche Forscher Ernst Krause angenommen, daß die Feuer- / Herdgottheit Agni, eine der ältesten Gottheiten überhaupt wäre, die noch in die Zeit der erstmaligen Beherrschung des Feuers durch den Menschen zurück reiche.(6)
Parallel zur Entstehung der Feuergottheit finden sich aber auch frühe Belege für die unter dem Begriff „Jagdzauber“ subsumierte Existenz einer Macht oder eines Gottes, die um Beistand bei der Jagd angerufen oder beschworen wurde. Feuer und Jagd gehen einher, da mit dem Gebrauch des Feuers erstmals Fleisch für den Menschen genießbar gemacht werden konnte. Europäische Höhlenmalereien aus der Zeit um 20 000 v.Zw. zeigen erstmals schamanische Figuren, die als „Priester“ gedeutet werden, denen die Funktion der Götteranrufung zugekommen sein könnte (Bilder links).(7)
Marie König hat über diesen Jagdzauber-Aspekt hinaus, die Bilderwelt der europäischen Felsmalereien in Zusammenhang mit einer frühen Gestirnbeobachtung gebracht und geht von bereits existenten mathematischen und astronomischen Erkenntnissen aus, die sich innerhalb der altsteinzeitlichen Bilderwelt manifestiert hätten.(8)
Unterstützung findet diese These durch eine Elfenbein-Platte, die auf der Vorderseite das stilisierte Bildnis eines Menschen mit erhobenen Armen - den sogenannten „Adoranten“ - und auf der Rückseite mehrere Reihen von Enkerbungen trägt, die als Mondkalender gedeutet wurden (Bild 2). Ihr Zusammenhang zu einer Art Himmels- oder Gestirnsverehrung ist dabei kaum von der Hand zu weisen.
Die Entstehung der Himmelsbeobachtung weist indes in den Norden, denn hier war das Leben des Menschen wie sonst nirgends dem Lauf der Sonne unterworfen. Irgendwann dürfte der Mensch dieser in kalten bzw. jahreszeitenabhängigen Gebiete die Bedeutung der Sonne für das Wiederaufleben der Natur erkannt haben.(9)
In anderen Erdteilen wiederum war weniger die Sonne, als der Regen wichtigste Voraussetzung für die Erneuerung der Fruchtbarkeit.
Trotzdem läßt sich sowohl in klimatisch kalten als auch warmen Gebieten eine mit der Sonne assoziierte Gottheit nachweisen, die durchweg eine bedeutende Rolle in den religiösen Vorstellungen der Völker spielte.
Einiges spricht dafür, daß sich aus den Erkenntnissen des Menschen der Bedeutung verschiedener Abläufe innerhalb der Natur einerseits, der menschlichen Veranlagung zur Suche nach einem höheren Sinn andererseits, schon früh eine Vorstellung der Zweiteilung göttlicher Macht entfaltete: Auf der einen Seite die weibliche Gebärerin, als Verkörperung des Erdprinzips, des „Mutterschoßes“, der an die Erdhöhle erinnern mochte. Auf der anderen Seite Seite die Erkenntnis des männlichen Zeugungsprinzips. Obgleich die Zuordnung des Lichtes und später des Himmels - erst das Feuer, dann mit zunehmender Seßhaftigkeit, der Sonne - zum männlichen Element naheliegen würde, ist dennoch eine zweigeschlechtliche Auffassung des Lichtes erkennbar, die mit den verschiedenen Zuständen des Lichts in Zusammenhang steht.(10) Otto Huth etwa spricht vom „herabgekommenen Himmelsfeuer“, das sich im Himmel als Sonne und Blitz manifestierte und in Zeiten zurückreicht, wo der Mensch das Feuer nicht selbst erzeugen konnte, sondern von durch Blitzschlag entflammten Feuern nahm und durch ständiges Schüren am Brennen hielt.(11) Noch im indoarischen Rigveda findet sich beispielsweise die Vorstellung der Dreigestalt des Lichtes: Auf der Erde als Feuer, im Himmel als Sonne und in ihrer Übergangsform als Blitz.(12)
Der Indologe Walther Wüst fügte diesem Zeugnis die Erkenntnis hinzu: „Daß es sich bei dieser aus urtümlichem, sonnenhaftem Eingottglauben zur Vielgötterei strebenden Überlieferung um echtes Altgut handelt, wird übrigens auch dadurch bewiesen, daß noch im VI. Buch des großen altindoarischen Heldengedichtes Rāmāyana, Sūrya („Sonne“) mit Agni („Feuer“) und darüber hinaus sogar mit der Trimūrti („Dreifaltigkeit“) selbst gleichgesetzt wird.“(13)
Ein oft auftretendes Mißverständnis in Bezug auf die „Verehrung“ von Naturkräften, wie dem Feuer oder der Sonne, nämlich, die Vorstellung, diese selbst, etwa die Sonne, seien als „göttlich“ verehrt worden, konnte spätestens durch Analogie-Schlüsse zu heutigen archaischen Völkern mit ähnlichen Glaubenswelten weitestegehend ausgeräumt werden.
So verweist bereits E. Meyer auf den Stamm der Dschagga in Ostafrika, die offiziell als Sonnenabeter bezeichnet wurden, tatsächlich aber ein „Ruwa“ genanntes geistiges Wesen verehrten, das auf der Sonne throne.(14) Die gleiche Vorstellung einer sich in der Sonne offenbarenden Macht dürfte auch für die frühen Völker gegolten haben, was Meyer mit dem Hinweis auf die Existenz der „sachlichen“ Sonne neben der Sonnengottheit Surya im Indoarischen untermauert.
Während der religiöse Dualismus aus männlichem und weiblichem Element grundsätzlich überall auf der Welt entstanden sein dürfte, bleibt die tiefergehende Ausgestaltung dieses Dualismus, der sich insbesondere in der religiöses Erhöhung der Sonne ausdrückte, jenen Gebieten vorbehalten, in denen die Sonne eine bedeutende Rolle im Leben des Menschen spielte. Dieser Ort muß also in einem Gebiet gelegen haben, das kalte Jahrezeiten oder gar Zeitabschnitte kannte, in der die Sonne kaum zu spüren war und die Natur wie ausgestorben wirkte, mithin Gebiete des heutigen Nordeuropa oder Nordasiens. Und genau dort finden sich tatsächlich nicht nur die frühesten Hinweise auf die Sonnenverehrung, sondern auch die ältesten Venusstatuetten, was dieses Gebiet zugleich als Geburtsstätte des männlich-weiblichen Gottesdualismus favorisiert.
Eine Begleiterscheinungen dieser Glaubenswelt ist die Vorstellung der Verbindung von Erde und Himmelzelt, das durch einen Weltbaum getragen wird. Den Ursprung sehen einige Forscher in der Errichtung der ersten zeltartigen Wohnbehausungen um einen Baumstamm herum. Dieser Stamm als Mittelpunkt der eigenen Welt trägt dabei nicht nur das Zelt, sondern mythisch überhöht auch das Himmelszelt.(15) Es ist die Geburt des Gedankens des Weltenbaumes, der Himmelssäule, des Weltenberges und des personifizierten Himmelsstützers, deren bekanntester der Atlas der griechischen Mythologie wurde.
Ein weiterer Aspekt ist die Vorstellung eines Seelenvogels, der die Seele des Verstorbenen aufnimmt. Auf einer sehr frühen Darstellung findet sich solch ein Vogel der neben einem toten Jäger auf einem Pfahl sitzt (Bild 6). Dieser Pfahl dürfte somit der Prototyp des Seelenpfahls oder -Steins sein, der in Gestalt der Holzpfähle und Menhire vor allem für die Jungsteinzeit charakteristisch werden sollte. In der ägyptischen Legende erscheint etwa die Seele des getöteten Osiris als Vogel auf der Spitze des Weltbaumes, wie Britta Verhagen betont.(16)
Wenig Beachtung bei der Erörterung der altsteinzeitlichen Religion fand bislang die sogenannte Kopf- oder Atemgeburt, deren Darstellung sich sowohl an Großsteinplastiken, die der jüngeren Altsteinzeit zugerechnet werden, als auch auf späteren Darstellungen findet.(17)
Diese Atemgeburt hängt zusammen mit der gemeinsamen Bedeutung von Seele und Atem die etwa im Sanskrit beide mit Atman übersetzt werden.(18) Hier existiert auch die Überlieferung, derzufolge der Windgott Vayu aus dem Atem des geopferten Universalgeist-Riesen Purusha entstand.(19)
Die ebenfalls vor allem in Nordeuropa nachgewiesene Atemgeburt vervollständigt die Reihe der Indizien, die auf eine schon sehr frühe Gestaltnahme der Ausdifferenzierung religiöser Vorstellungen im Gebiet des nördlichen Europas verweisen. Doch wie kann das sein?
Wie sind Hinweise auf eine frühe Gestaltwerdung religiöser Vorstellungen im nördlichen Europa mit dem klassischen Dogma der generellen Rückständigkeit dieses Lebensraumes in Einklang zu bringen? Vielen, insbesondere Anhängern der christlichen Glaubenslehre, ist die herkömmliche Darstellung der Religionsgeschichte nur allzu vertraut: Die auf Bärenfellen faulenzenden Barbaren rechts des Rheines, deren Glaubensvorstellung geprägt war vom dunkelsten Aberglaube: Der hammerschwingende Thor / Donar als Gewittermacher, der einäugige Odin / Wotan als Führer des Totenheeres, der die Menschen in Angst und Schrecken versetzte und, beinahe als Feigenblatt zumindest eines Funkens Anstandes höherer Gesittung, der lichte Balder als Verkörperung der Sonnenmacht, freilich in beiden erstgenannten weit untergeordneter Rolle. Was muß es nur für eine Erlösung aus Seelenqual und ängstlicher Depression gewesen sein, als die ersten christlichen Missionare den verschreckten Barbaren aus ihrer Qual befreiten, durch den Christengott und seinen Sohn, der sich für die Menschen opferte und sie dadurch gleichsam aus ihrem Alptraum erlöste? Und tatsächlich berichten ja die alten Chroniken von den Erfolgen der frühen christlichen Prediger, die - wo die gutgemeinten Appelle vor den tumben Gewaltmenschen verhallen mußten - zur Tat schritten und die alten Heiligtümer fällten, ohne daß die Donnerer und Totenführer einschritten. So weit jedenfalls der oberflächliche Blick auf die Quellen, die sich für gewöhnlich in der Rezitierung der Berichte christlicher Priester erschöpfen.
Der genauere Blick jedoch zeigt ein weitaus vielschichtigeres Bild. Ein Bild, das bei sorgfältiger Prüfung eine Antwort zu geben vermag, wie sich die offensichtlich hochstehende Religion der Frühzeit dieses Raumes mit dem vermeintlich dumpfen Aberglauben der späteren Germanen vereinigen läßt. Die Entschlüsselung dieser Frage liefert zugleich auch eine Antwort auf die Frage, was Jesus mit Balder und was beide wiederum mit Osiris oder dem Sol Invcitus zu tun haben und beginnt mit dem Blick auf den tatsächlichen Verlauf der Christianisierung Nordeuropas - der Christianisierung der Germanen.
Anmerkungen:
1) Der unbesiegte Sonnengott, Forthcoming Fire: „Je suis“ Hypernium 1995
2) vgl. zum Glauben der „ältesten Menschen“, König (1985), S. 22 ff.;
3) vgl. dazu Wirth (1928), S. 11 ff.; Verhagen (1999), S. 67, die hier von einem ur-monotheistischen „Großen Geist“ spricht, der von Religionsforschern bei „primitiven“ Völkern nachgewiesen wurde; ebenso Schröder (1914), S. 81 ff.
4) vgl. Biedenkapp (1905), S. 32: „Der Beweis ist nirgends erbracht.., daß alle Menschen bei der Herausarbeitung aus tierischen Zuständen die Stufen durchgemacht haben müßten, die wir bei Naturvölkern und Kulturidioten wahrnehmen.“
5) Waalker (1997), S. 298, meint sogar, daß die Übernahme der weiblichen Macht, Leben zu schenken, das wichtigste Attribut der frühen Götter war
6) Krause (1891), S. 303 f.
7) Pringle (2007), S. 80; weitere Beispiele bei König (1985), S. 25 ff.
8) vgl. dazu Verhagen (1986), S. 28
9) siehe dazu Wirth (1928), S. 195
10) Allerdings wird auch die Feuergottheit selbst mal männlich, wie bei den ostindogermanischen Ariern (Agni / Atar), mal weiblich, etwa beim Hestia / Vesta-Kult der westinodgermnischen Griechen und Römer, begriffen. Huth (1939), S. 28; ebenso S. 63
11) Huth (1939), S. 5
12) So der Veda-Interpret Yaska (VII, 5 - etwa 9. Jahrhundert v.Zw.), zit. nach Wüst (1934), S. 133
13) Wüst (1934), S. 133; Surya ist die primäre Sonnen-, Agni die Feuergottheit
14) Meyer (1909), S. 34
15) Verhagen (1986), S. 31; zweifelhaft ist aber, ob das sicherlich frühe und wichtige Gottesbild des Weltstützers das „erste und älteste Gottesbild der Menschheit“ ist, wie Verhagen hier meint.
16) Verhagen (1986), S. 30
17) vgl. Neumann-Gundrum (1980), S. 22 ff.; vgl. auch Pudor (1936), S. 52 f.
18) Schröder (1914), S. 71
19) vgl. Ions (2001), S. 21/ 48; Walker (1997), S. 298, erklärt die Atemgeburt mit dem Mangel der männlichen Gottheiten an einem Gebärorgan
© 2013 Parzifal Gestaltung: Druckfahne Medien. Template Idee: ChocoTemplates.com