Trojaburg
 
 

Nicholas Goodrick-Clarke: Im Schatten der Schwarzen Sonne

MIGUEL SERRANO UND DER ESOTERISCHE HITLERISMUS
Ende der 70er-Jahre entstand eine neue Form des Hitler-Kultes, ein Mythos, dem eine ganz außergewöhnliche Macht innewohnt und der bis heute lebendig ist. Stein um Stein erbaut wurde dieses Gedankengebäude von dem chilenischen Diplomaten, Entdecker und Dichter Miguel Serrano. Dessen neonazistische Mythologie ist von den so genannten ?Nazi-Mysterien? inspiriert, entspringt jedoch eigentlich einem Enthusiasmus für die Ideen und die Person Hitlers, den Serrano schon zu Kriegszeiten an den Tag legte, sowie seinem Antisemitismus. Eine weitere Wurzel dieser ganz eigenen Kosmologie liegt in einem chilenischen Esoterik-Orden, der Meditation und Yoga praktizierte, sich den Tantrismus auf die Fahnen geschrieben hatte und Serrano als gläubiges Mitglied aufnahm. Die gnostische Lehre des Chilenen verkündet den überirdischen Ursprung der Arier, die er als Träger des göttlichen Lichtes betrachtet, und warnt vor der weltweiten Verschwörung gegen eben jene Lichtträger, die von einem bösen Demiurgen vorangetrieben wird - dem Beherrscher unseres Planeten und aller niederen Materie. Die Inspiration Serranos durch alt-nordisches und hinduistisches Gedankengut ist offensichtlich: Seine Kosmologie weiß vom polaren, arischen Ursprungsland zu berichten, baut sich sowohl auf Yoga als auch auf germanische Mythen auf und arbeitet gleichermaßen mit Sanskrit-Begrifflichkeiten und Runenkunde. Besonders deutliche Anleihen macht Serrano bei Jungs Archetypenlehre, und ganz im Sinne von Savitri Devi sieht er in Hitler einen Avatar (die körperliche Manifestation eines Gottes - eine aus dem Hinduismus stammende Vorstellung).
Der mystizistische Nazismus Miguel Serranos ist keinesfalls eine Kuriosität, sondern ein prominentes Beispiel für die erfolgreiche ?Umsiedlung? des Thule-Mythos in südamerikanische Gefilde nach dem Krieg. Sich vage an erfolgreichen Machtmenschen der europäischen Rechten wie Mussolini oder Franco orientierend, kombinierten damals politische Gruppierungen und Parteien in ganz Lateinamerika den dort ansässigen Populismus mit faschistischen Modellen, was etwa in dem Regime von Juan Perön in Argentinien oder von Getülio Vargas in Brasilien kulminierte. Vor dem Krieg dagegen waren nationalsozialistische Organisationen von relativ geringer Bedeutung, obgleich sowohl in Argentinien als auch in Chile die deutschstämmigen Minoritäten einen ansehnlichen Anteil der Bevölkerung ausmachten Nach 1945 allerdings brach eine große Anzahl flüchtiger Nazis über Lateinamerika herein; sie bauten sich nicht nur eine neue Heimat auf sondern bastelten sich auch einen neuen Mythos völkischer Identität der sich voll und ganz um die deutsche Besiedlung Lateinamerikas dreht. So behauptet etwa Serrano, die Flucht der Nazis nach Lateinamerika sei nichts anderes als eine Rekapitulation vorgeschichtlicher Entdeckungsreisen ihrer arischen Vorfahren. Die heimatlosen Nazis konnten sich selbst also zu Erben der angeblich arischen Ureinwohner Chiles und Argentiniens hochstilisieren. Bald schlössen sie sich zu Organisationen zusammen und fanden Unterstützung in ihren neuen Heimatländern; viele Angehörige der dortigen Eliten und der Geschäftswelt waren Bewunderer von Hitler und Mussolini. Unter den Chilenen und Argentiniern europäischer Abstammung waren damals nach wie vor die traditionellen rassistischen Einstellungen gegenüber der indianischen und gemischtrassigen Bevölkerung vorherrschend; die Mythen um eine angebliche nordische Abstammung übten also eine besondere Anziehungskraft auf sie aus. Die aus der Vielzahl der ethnischen Gruppen in Lateinamerika resultierenden Probleme gingen mit dem ?importierten? antisemitischen, nazistischen Rassismus eine eigenartige Mischehe ein, aus der ein neuer Thulischer Mythos um die Besiedlung der Südlichen Hemisphäre durch die Arier entsprang.3 Miguel Joaqin Diego del Carmen Serrano Fernändez wurde am 10. September 1917 in Santiago geboren. Mütterlicherseits stammt er von dem gräflichen Geschlecht de la Sierra Bella ab, dessen ausgedehnter Grundbesitz nahe Santiago bei Las Condes lag. Die Familie Serrano wiederum hatte bekannte und begnadete Dichter, politische Idealisten und eine Reihe von Diplomaten hervorgebracht. Berta Fernändez Fernändez, die Mutter Serranos, starb, als ihr Sohn gerade fünf Jahre alt war; nur drei Jahre später verlor er seinen Vater. Infolgedessen wurde der kleine Miguel, zusammen mit zwei jüngeren Brüdern und einer Schwester, von der Mutter seines Vaters, Fresia Manterola de Serrano, großgezogen; einen Teil seiner Kindheit verbrachte er in ihrem Santiagoer Stadtdomizil, den Rest der Zeit in einem romantischen Landherrenhaus aus dem siebzehnten Jahrhundert, gelegen im Clarotal, am Fuße der Anden. Von 1929 bis 1934 besuchte Miguel Serrano das Internado Nacional Barros Arana. Diese Schule war für ihre guten Beziehungen zu Deutschland bekannt, die auf den Zustrom preußischer militärischer Ausbilder zurückzuführen waren, der wiederum in der Bismarck?schen Unterstützung Chiles gegen Peru und Bolivien während des Salpeterkrieges (1879-82) seine Ursache hatte. Serrano selbst führt seine Bewunderung für alles Deutsche auf seine Zeit an diesem Bildungsinstitut zurück. Außerdem jedoch entstamme er einer arischen Blutlinie; schließlich könne er seine Herkunft über die in Nordspanien ansässigen Basken bis auf die Cro-Magnon-Menschen zurückführen - daher auch seine blauen Augen und sein blondes Haar.3
Während seiner Schulzeit gründete Serrano mit seinen Freunden literarische Zirkel, die zunächst völlig frei von jeglicher politischen Ausrichtung waren. Ende der 30er-Jahre jedoch, da sich die politische Landschaft Chiles polarisierte, schloss sich einer von Serranos engsten Freunden, der aufstrebende Dichter Hector Barreto, aus Sympathie für die Sache der Armen den Sozialisten an und wurde im Alter von achtzehn Jahren in einer Schlägerei mit uniformierten Nacistas, chilenischen Nazis, getötet. Als Reaktion auf diese Tragödie machte Serrano die Sache der Marxisten zu seiner eigenen und begann, für linksgerichtete Zeitschriften zu schreiben: Sobre la marcha, La Hora und Frente Populär. Sein Onkel, der Diplomat und Dichter Vincente Huidobro, wollte seinen Neffen gar bewegen, sich den Republikanern im Spanischen Bürgerkrieg anzuschließen. Schon bald jedoch lehnte Serrano Marx? Lehren ganz und gar ab; das irritierende Gebaren der chilenischen Kommunisten, die Beziehungen sowohl mit Moskau als auch mit dem amerikanischen CIA unterhielten, desillusionierte ihn gründlich.3
Infolge des gescheiterten Staatsstreichsversuchs der Nacistas am 5. September 1938 fühlte sich Serrano bald zu diesem Movimento Nacional Socialista de Chile (?Nationalsozialistische Bewegung Chiles?) hingezogen; damals waren 62 junge Angehörige der Bewegung erschossen worden, während sie das Sozialversicherungsgebäude nahe des Präsidentenpalastes La Moneda in Santiago besetzt hielten. Die 1932 gegründete chilenische Nazi-Partei orientierte sich an europäischen faschistischen Vorbildern, insbesondere an der NSDAP. Ihr Anführer war der sprunghafte deutsch-chilenische Feuerkopf Jorge Gonzalez von Marees (1900-1962). Die Partei schien bei Deutschstämmigen aus dem Süden Zentralchiles besonderen Anklang zu finden. Doch auch Angehörige anderer Bevölkerungsgruppen gehörten zu ihren Mitgliedern.4
Getreu dem Vorbild anderer faschistischer Parteien auch, organisierten die Nacistas Massenaufmärsche ihrer uniformierten Sturmtruppen; Nazi-Gruß und Schlachtlieder gehörten ebenso dazu wie Flaggen und Insignien. Und ohne die charismatische Figur von El Jefe (des ?Führers?) ist diese politische Bewegung kaum zu denken. Serrano war zutiefst beeindruckt von der männlichen Kameraderie und dem überzeugten Patriotismus der chilenischen Nazis - und von ihrem faschistischen Mythos. Die Aura des ?heroischen Märtyrertums?, die die Nacistas seit dem Massaker vom September 1938 in seinen Augen umgab, erwies sich als stärker denn Serranos Wut über den Mord an seinem besten Freund. Im Juli des Jahres 1939 sprach er erstmals öffentlich von seinen Sympathien für die Nacistas (die sich inzwischen in Vanguarda Populär Socialista, Sozialistische Volksavantgarde?, umbenannt hatten), begann für das Parteimagazin Trabajo zu schreiben und begleitete El Jefe auf seinen populistischen Touren durch das Land.5
Da Chile bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs neutral blieb, hatten die Nacistas alle Freiheit, ihre Solidarität mit den Achsenmächten zu verkünden. Dennoch begann die inzwischen reformierte Partei, ihren Schwung zu verlieren, und Gonzalez von Marees, der infolge des gescheiterten Staatsstreichs inhaftiert worden war, war nach seiner Freilassung deutlich um eine Versöhnung mit dem liberal-bürgerlichen Flügel bemüht. Serrano seinerseits verschrieb sich nach dem Einfall der Deutschen in die Sowjetunion ganz und gar der nazistischen Propaganda; unter dem Titel La Nueva Edad veröffentlichte er ab 1941 vierzehntägig politische Kommentare und literarische Rezensionen.
Weitere regelmäßige Beiträger zu La Nueva Edad waren: Rene Arriagada von der landesweiten Tageszeitung El Mercurio, der sich sehr stark für Oswald Spengler interessierte; General Francisco Javier Diaz, ein glühender Bewunderer Hitlers; und Hugo Gallo, Kulturattache bei der italienischen Botschaft. Die in La Nueva Edad erscheinenden Artikel besprachen deutsche Philosophie und Ideologie oder berichteten in epischer Breite über die deutschen Militärkampagnen und die an¬geblich zügig fortschreitende Zerstörung des Sowjet-Kommunismus. Das Dritte Reich wurde nach allen Regeln der Kunst verherrlicht. Serrano baute eifrig enge Beziehungen zu der nationalsozialistischen Delegation in der deutschen Botschaft in Santiago auf, die ihrerseits seine Zeitschrift gern unterstützte. Von einem Angehörigen der SS, der ehemals Adjutant des Direktors der Reichskanzlei in Berlin gewesen war, erfuhr Serrano von ausführlichen Dokumenten über Macht und Einfluss bestimmter Geheimgesellschaften - Dokumente, die sich im Besitz der Nazis befanden; einige darunter, hieß es, habe Alfred Rosenberg persönlich, nachdem die Deutschen die Stadt besetzt hat¬ten, in den Archiven alter Pariser Freimaurerlogen entdeckt. Dieses Material wurde ebenfalls in La Nueva Edad publiziert und ausgiebig kommentiert.6
Serranos Neigung, an politische Konspirationen zu glauben, wurde zusätzlich verstärkt, als er im Herbst 1941 zum ersten Mal von der ?jüdischen Weltverschwörung? hörte. Zwei chilenische Künstler, treue Leser seiner Zeitschrift, spielten Serrano eine spanische Übersetzung der Protokolle der Weisen von Zion in die Hände. Dies markiert einen bedeutenden Wendepunkt in der Entwicklung der nazistischen Welt¬anschauung Serranos. Vor 1941 hatte der Antisemitismus weder in der nationalradikal-faschistischen Ideologie der chilenischen Nazis noch in der Serranos eine Rolle gespielt; beide sahen im marxistischen Kommunismus ihren Hauptfeind. Die einmalige Lektüre dieses ei¬nen Buches jedoch überzeugte Serrano ganz und gar, dass die Juden die Hintermänner einer weltweiten Verschwörung waren, die nichts anderes zum Ziel hatte als die Zerstörung jeglicher Ordnung, aller Traditionen und der Unabhängigkeit der Nationalstaaten. Aufgrund dieser Überzeugung wurde Serrano zum inbrünstigen Antisemiten und begann Anfang November 1941 Auszüge aus den Protokollen in seinem Magazin zu veröffentlichen.7 Später, in der gnostischen Lehre zu seinem Hitler-Kult, personifiziert Serrano die Idee der jüdischen Weltverschwörung in der Gestalt des bösen Demiurgen, des Herrn der Dunkelheit, der unseren gefallen Planeten beherrscht.
Serrano reicherte aber seine nazistische Ideologie nicht nur mit solchem apokalyptischen Antisemitismus an, sondern auch mit Gedan¬kengut aus Esoterik, Hinduismus und Kundalini-Yoga. Es war Hugo Gallo, der Ende des Jahres 1941 Serrano zum ersten Mal den Gedanken eingab, der Krieg könnte auch auf anderen, inneren Bewusstseins- und Seinsebenen ausgetragen werden, und der ihn in einen chilenischen Esoterikorden einführte. Dieser Orden, der angeblich einer geheimnis¬vollen brahmanischen Elite aus dem Himalaja Gefolgschaft geschwo¬ren hatte, war von einem Deutschen gegründet worden, der unter den Initialen ?F. K.? bekannt war und wohl um die Jahrhundertwende nach Chile immigriert war. Die Gruppe praktizierte rituelle Magie sowie tantrisches und Kundalini-Yoga, um mystische Visionen und die ultimative Vereinigung zu erlangen. Der Meister des Ordens lehrte die große Bedeutsamkeit des feinstofflichen Körpers bzw. des Astralleibs, der durch Rituale und spirituelle Übungen erweckt und aktiviert werden könne. Durch yogische Meditationen werde die Schlangenkraft (kundalini) von der Wurzel der Wirbelsäule aus durch die Energiezentren (chakras, deutsch auch: Chakren) des Körpers hindurch hin zum Scheitelpunkt des Kopfes gezogen, um dort das Höhere Selbst zu erwecken. Diese yogische ?Erfahrung des Aufsteigens? setzte besagter Meister in Beziehung zum nietzscheanischen Willen zur Macht sowie zu faschistischem Aktivismus. Serrano war von dieser ?esoterischen Weisheit? derart beeindruckt, dass er sich bereits im Februar 1942 in den sowohl mystischen als auch kriegerischen Orden aufnehmen ließ.8 Der Orden setzte seine esoterische Spiritualität in direkten Bezug zu Hitler und seinem Nationalsozialismus. Die Vorstellung von in weiter Ferne weilenden, brahmanischen Anführern des Ordens war ein deutlicher Indikator des vedisch-arischen Ursprungs seiner Lehren; doch seine Mitglieder vereinte auch die glühende Bewunderung Hitlers; sie sahen in ihm den Retter und Erlöser der arischen (indo-europäischen) Rasse. Die Fähigkeit zu Astralreisen und zur Erreichung höherer Bewusstseinsebenen, so hieß es, sei dem alten Erbe der reinblütigen (?zweifach geborenen?) Arier geschuldet. De Meister machte des Öfteren orakelhafte Vorhersagen, Hitler und de von ihm entfesselten globalen Konflikt betreffend. Der Braunaue wurde als Eingeweihter betrachtet, ja mehr noch, als ein Wesen vof grenzenloser Willenskraft, wie sie unter den Menschen bis dahin noc nicht aufgetreten war (shudibudishvabhaba). Er habe sich freiwillig au. Erden als eine hoch entwickelte Wesenheit (boddhisatva) inkarniere? lassen, um dem Dunklen Zeitalter (kaliyuga) ein Ende zu bereiten. Mehrmals war der Meister angeblich in der Astralsphäre in Kontakt zu Hitler getreten; einmal sprachen die beiden angeregt über die kolonialen Ansprüche Deutschlands, ein andermal ?traf? der Meister den Führer im Kehlsteinhaus (von den Amerikanern Eagle´s Nest, "Adlerhorst", genannt) bei Berchtesgaden. Nach Ende des Krieges "begegnete" der Meister Hitler tief im Innern der Erde - für ihn und seine Jünger ein unanfechtbarer Beweis, dass jener den Berliner Bunker überlebt hatte und immer noch unter den Sterblichen weilte.11 Im Lichte solcher Offenbarungen sah Serrano in Hitler und dem Massenkult des Dritten Reiches die Manifestation archetypischer Kräfte, deren aktives Eingreifen in die Menschheitsgeschichte einen Quantensprung in ein neues, besseres Zeitalter versprach.
Trotz der Niederlage des Dritten Reiches hielt Serrano an diesem Glauben fest; Hitler, so dachte er, war aus den Ruinen des zerbombten Berlin entkommen und hatte Zuflucht in der Antarktis gefunden - entweder in einer der warmen Oasen dort oder in einem unterirdischen Stützpunkt tief unter der schützenden Eisschicht. Der Meister seines Ordens hatte ja bereits ähnliche Ansichten vertreten, und entsprechende Gerüchte machten im Sommer 1945 überall in der lateinamerikanischen Presse ihren Umlauf.10 Serrano verschlang Ladisloa Szabös spekulatives Machwerk Hitler esta vivo (1947) geradezu - jenes Buch, in dem behauptet wurde, Hitler wäre von einem U-Boot-Konvoi zu den Sicherheit verheißenden Warmwassser-Oasen des antarktischen Königin-Maud-Landes gebracht worden, die im Jahr 1938 der nazideutsche Südpol-Expeditionstrupp unter der Leitung Alfred Ritschers entdeckt hatte (s. Kap. 8). Serrano verspürte daraufhin das bizarre Bedürfnis, sich der Antarktisexpedition der chilenischen Armee 1947/48 als Journalist anzuschließen. Die trostlosen, men¬schenleeren Eiswüsten der Polarregion hinterließen bei Serrano einen bleibenden Eindruck. Außerdem studierte er in dieser Zeit die Bücher von C. G. Jung über das kollektive Unbewusste und sann gleichzeitig über die (gefühlte) Nähe seines angebeteten Idols nach. Nach seiner Rückkehr publizierte Serrano ein Buch mit dem Titel La Antärtica y otros Mitos ("Die Antarktis und andere Mythen", 1948), in dem er Szabös Behauptungen stützte. Der Chilene war von Hitler besessen - und er blieb es. Während seiner ersten Europareise im Jahr 1951 besuchte er die Ruinen des Führerbunkers in Berlin, wo Hitler von der Bühne der Weltgeschichte verschwunden war; er stand stundenlang vor den Mauern des Spandauer Gefängnisses, wo Rudolf Heß und andere füh¬rende Nazis inhaftiert waren; er streifte durch die Ruinen von Hitlers Berghof in Bayern und nahm damit Savitri Devis "Pilgerreise" nach der endgültigen Demontage dieses Feriendomizils des Führers vorweg.12 Doch die Europareise eröffnete Serrano auch neue Horizonte. In der Schweiz traf er Hermann Hesse und schloss Freundschaft mit dem berühmten modern-romantischen Schriftsteller, der im Jahr 1946 den Nobelpreis für Literatur verliehen bekommen hatte. Später begegnete er C. G. Jung; zwischen den beiden entwickelte sich ebenfalls eine in¬tellektuelle Freundschaft und ein reger Ideenaustausch, der besonders die Themen Mythen und Archetypen betraf. 1953 war Serrano, einer Familientradition folgend, in den chilenischen diplomatischen Dienst getreten, und zwar mit dem Ziel, nach Indien gesandt zu werden - ein Land, das er als eine der Hauptquellen spiritueller Wahrheit betrachtete. Er blieb bis 1962 dort und brachte es schließlich sogar zum Botschafter; in all dieser Zeit sog Serrano das reiche spirituelle und geistige Erbe dieser Kultur in sich auf. Wie ein Leitmotiv durchzieht seine Zeit in Indien die Suche nach dem geheimen Brahmanenorden, von dem sein chilenischer Meister gesprochen hatte. Er reiste zu entlegenen An¬betungsstätten im Himalaya und traf sich mit zahlreichen Gurus. Doch der Sitz des Ordens befand sich, jedenfalls der Überlieferung zufolge, am Kailasch, einem Berg im von China besetzten und verwalteten Tibet, und war somit unerreichbar für Serrano.13
Dank seiner Rolle als Diplomat begegnete der Chilene einer ganzen Reihe führender Persönlichkeiten und schloss enge Freundschaft mit Nehru, Indira Gandhi und dem Dalai Lama. Außerdem veröffentlichte er weitere Bücher. Inzwischen beschäftigen sich seine Schriften mit mythologischen und spirituellen Themen; die wichtigsten: Las visitas de la Reina de Saba (?Die Besuche der Königin von Saba?, 1960), Vorwort von C. G. Jung, und La serpiente del paraiso (?Die Schlange im Paradies?, 1963), worin Serrano seine ?heilige Suche? in Indien schildert.
In den Folgejahren hatte Serrano weitere prestigeträchtige dip¬lomatische Ämter inne, so als chilenischer Botschafter in Jugosla¬wien (1962-64), mit gleichzeitiger Akkreditierung in Bulgarien und Rumänien, und als Botschafter in Österreich (1964-70). Außerdem wurde er zum chilenischen Abgeordneten in der Internationalen Atomenergieorganisation und in der Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung - englisch: United Nations Industrial Development Organization kurz UNIDO - bestimmt (beides mit Hauptsitz in Wien). Ende der 70er-Jahre jedoch entließ Salvador Allende, der neugewählte marxistische Präsident Chiles, Serrano aus dem diplomatischen Dienst. Dieser beschloss, von nun an seine Existenz im Exil zu fristen, und mietete sich eine Wohnung im Casa Camuzzi in Montagnola (Kanton Tessin); dort hatte auch Hermann Hesse von 1919 bis 1931 gelebt. Die nächsten Jahre verbrachte Serrano in Europa, genoss das Leben eines freien Schriftstellers und nahm sich die Muße für ausgedehnte Wald- und Bergwanderungen. In dieser sorgenfreien Phase seines Leben widmete sich der Chilene voll und ganz der literarischen Verarbeitung religiöser Mythen. Dementspre¬chend ist das erste Werk Serranos aus jener Zeit, El - Ella, Libro del amormägico (?Er - Sie. Das Buch der magischen Liebe?, 1973), eine Allegorie der Suche des Menschen nach der kosmischen Einheit. Die hier ver¬arbeiteten Themen des Tantrismus und Katharismus sowie das Motiv der Vereinigung des männlichen Animus mit der weiblichen Anima sicherten dem Buch große Beliebtheit; es wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Ein weiterer Titel entstand: Nös. Libro de la Resurecciön (?Wir. Das Buch der Wiederauferstehung?, 1980), eine Autobiographie Jung?scher Prägung; sie basiert auf ähnlichen Gedanken wie das erste Buch und setzt sich außerdem mit Nietzsches Konzept der ewigen Wiederkunft auseinander.14
Das abrupte und unerwartete Ende seiner diplomatischen Karriere sowie die Tatsache, dass in seinem Heimatland die Linken an die Macht gekommen waren, führte jedoch auch dazu, dass Serrano sich von Neuem dem Nazismus zuwandte. Anfang der 40er-Jahre war er dem Glauben an den Mythos der Weltverschwörung von Juden, Geheimbünden und Kommunisten verfallen - ein blinder Glaube, der durch die Etablierung der Revolutionsregierung in Chile nun neue Be¬stätigung zu finden schien. Während seiner Zeit in der Schweiz brütete Serrano zunehmend über die dualistischen Implikationen nach, die dem Katharismus, dem Antisemitismus und dem Jung?schen Konzept der Projektion des ?Schattens? innezuwohnen schienen. Ganz entgegen dem Loblied auf spirituelle Einheit und Integration, das er in seinen dichterischen Werken sang, verfiel Serrano selbst immer mehr der Wahnidee einander entgegengesetzten Archetypen des Lichts und der Dunkelheit. Er begann eine - zugegebenermaßen außergewöhnliche -Hitler-Trilogie zu schreiben; die Einzelbände hießen: El Cordön Dorado: Hitlerismo Esoterico (?Das Goldene Band. Esoterischer Hitlerismus?, 1978), Adolf Hitler, el Ultimo Avatar (?Adolf Hitler, der letzte Avatar?, 1984) und Manu - ?Vor el hombre que vendra? (?Manu - ?Für, den der da kommen wird?, 1991). Seine Inspiration bezog Serrano aus der Ideologie des chilenischen Nationalsozialismus, mit dem ihm immer noch die alten Bande verknüpften, aus den Protokollen und aus dem Gedankengebäude seines esoterischen Brahmanenordens. Doch nicht nur das; Serranos Trilogie ist ein Amalgam all der in den 60er- und 70er-Jahren erschienenen Literatur, die sich göttlichen Offenbarungen, dem Okkulten und den sogenannten Nazi-Mysterien widmete. Aus all dem nun schuf Serrano seine eigene politische Mythographie des ?Esoterischen Hitlerismus?, die er beständig mit neu erworbenem Ideengut erweiterte.
Serrano kreierte eine gnostische Religion, deren esoterischer Kern die höheren Bewusstseinserfahrungen und Visionen bilden, die dem Chilenen unter Führung seines Meisters zuteil wurden. Er glaubt fest daran, dass es durch ein magisch erweitertes Bewusstsein möglich ist, mit den göttlichen Kräften, die außerhalb von Mensch und Natur liegen, zu verschmelzen. Seiner Ansicht nach spielt dabei nicht das Unbewusste die entscheidende Rolle, sondern eine Art Überbewusst-sein, das entsteht, wenn ein göttliches Wesen der ein oder anderen Art Kontrolle über das Ich (im Jung?schen Sinne) übernimmt; dies entspricht in etwa der Vorstellungswelt der alten Griechen. Serra-nos Jung-Lektüre zementierte diese seine Ideen für ihn; zwischen 1957 und 1961 erweiterte er dank der ausgedehnten Korrespondenz und häufigen, extensiven Gespräche mit jener Schweizer Koryphäe der Psychoanalyse die eigenen Theorien immer mehr. Letztere sind tatsächlich hoch interessant und wurden in verschiedenen Sprachen veröffentlicht, auf Deutsch unter dem Titel Meine Begegnungen mit C. G. Jung und Hermann Hesse in visionärer Schau (1965).
Jung hatte bereits während des Ersten Weltkriegs begonnen, sei¬ne Theorien um die Archetypen und das kollektive Unbewusste zu entwickeln. In späteren Werken stellte er die Idee der Archetypen in einen wissenschaftlichen Kontext und beschrieb sie in entspre¬chender Terminologie als ?Urbilder?, als ?instinktive Neigung? und als ?archaische Überreste?, die aus dem kollektiven Unbewussten des Menschen aufsteigen und Ergebnis von langer phylogenetischer Entwicklung sind. Anfänglich jedoch benutzte Jung eine eher religiös gefärbte Sprache, um die Archetypen zu beschreiben; er nannte sie die ?Herrschenden Mächte?, die ?Götter?.15 In Reaktion auf den Aufstieg der Nationalsozialisten und die Massenbegeisterung, die das deutsche Volk für die Person Hitlers ergriff, publizierte Jung 1936 einen Aufsatz mit dem Titel ?Wotan?, in dem er die These aufstellte, die Deutschen seien einmal mehr vom Archetyp des deutschen Gottes des Sturms und der Raserei besessen. Diesen paganistischen Überschwang sah er in bestimmten deutschen Denkern vorgeprägt, die dem Irrationalen, wenn nicht gar dem Dionysischen frönten, etwa in Friedrich Nietzsche, Alfred Schuler oder Ludwig Klages. Auch die Dichtung Stefan Georges gehörte für Jung in diese Reihe. Die zugkräftige Jugendbewegung der Wandervögel, der völkische Nationalismus und die gängigen zeitge¬nössischen Versuche, das Christentum zu ?germanisieren?, waren laut Jung Symptome des Schwindens der talismanischen Macht des Kruzifixes und eines Wiedererstarkens des furor teutonicus, eines ehe¬mals dominanten Archetyps.16
Doch wenn sich der Wotan?sche Archetyp wirklich der deutschen Massen bemächtigt hatte, dann war Hitler die ultimative Personifikati¬on Wotans. In weiteren Artikeln und Interviews aus der Zeit zwischen den Kriegen konzentrierte sich Jung auf das Phänomen des Führers selbst. Darin legte er dar, wie Hitler von diesem Archetyp des kollekti¬ven arischen Unbewussten beherrscht wird und nicht anders kann, als den Geboten einer inneren Stimme zu gehorchen. In einer Reihe von Interviews, die er 1936-39 gab, charakterisierte Jung Hitlers Verhalten als die Manifestation eines Archetyps bis zu dem Grad, dass die eigene Persönlichkeit völlig ?nihiliert? wird: ?Hitler ist ein spirituelles Gefäß, eine Halbgottheit; mehr noch: ein Mythos. Mussolini ist ein Mensch.? Bei einer Militärparade, die zu Ehren von Hitler und Mussolini abge¬halten wurde, erhielt Jung die Gelegenheit, beide zu beobachten; Hitler gemahnte den Psychoanalytiker an ein hölzernes Gestell in Kleidern, an einen Automaten mit einer Maske, einen Roboter oder jemanden, der sich als Roboter maskiert. ?Hitler erschien wie der Doppelgänger einer realen Person, als ob der Mensch Hitler sich wie ein Anhängsel im Inneren dieses Wesens verbergen könnte und sich ganz mit Absicht so verbarg, um den Mechanismus nicht zu stören. [...] Man wusste ein¬fach, dass man niemals wirklich mit diesem Menschen reden könnte: Denn es ist überhaupt niemand da. [...] Das ist kein Individuum; das ist eine gesamte Nation.? Jung verglich Hitler mit Mohammed, eine Art Messias der Deutschen, der die Tugend mit dem Schwert lehrte. ?Seine Stimme ist die von mindestens 78 Millionen Deutschen. Sogar in privaten Gesprächen muss er schreien. [... ] Die Stimme, die er hört, ist die des kollektiven Unbewussten seiner Rasse.?17
Jung suggerierte, jede Rasse verfüge über ihr eigenes kollektives Unbewusstes und ihre eigenen Archetypen, und das interessierte Serrano natürlich ganz besonders; dies nämlich bedeutete für den Chilenen, dass Hitler zu allen Vertretern der arischen Rasse sprach. Dennoch war Serrano der Ansicht, dass Jung im Endeffekt nichts anderes getan hatte, als ein uraltes, heiliges Mysterium mit seinen Begriffen der Archetypen und des kollektiven Unbewussten zu ?psychologisieren?.18 Serrano dagegen nimmt Jung wörtlicher, als dieser sich selbst nimmt; für Serrano sind die Archetypen Götter, eigenständige metaphysische Mächte, die über ihre jeweiligen Rassen regieren und sich von Zeit zu Zeit der Geister bestimmter ?Untertanen? bemächtigen. Seiner Ansicht nach war das arische kollektive Unbewusste buchstäblich das ?Gedächtnis des arischen Blutes? -eine esoterische Konstruktion biologischen Rassismus. Wie Serranos Meister ihn gelehrt hatte, kann das Individuum zur Astralsphäre aufsteigen, um damit seinen Körper für die Essenz des Archetypen frei zu machen und von diesem in Besitz genommen zu werden. Der Chilene selbst stellte nun die Behauptung auf, im Falle Hitlers sei genau dies immer wieder passiert. Der arische Archetyp hätte in ihm den Agenten bzw. das Medium erkannt, das er nutzen konnte, um am effektivsten auf die Welt einzuwirken. Serrano war von der hinduistischen Mythologie und von Savitri Devis The Lightning and the Sun sehr beeindruckt gewesen, weswegen er begann, Hitler als Avatar der Götter Vishnu, Shiva oder Wotan zu sehen, der gekommen war, um die heroischen Arier ihrer vor langer Zeit verlorenen Göttlichkeit wieder zuzuführen.19
Doch wer genau sind diese Götter, und was wollen sie von den Men¬schen, bzw. was haben sie mit ihnen vor? Um Hitlers Zweck als Avatar zu erklären, entwirft Serrano eine Science-Fiction-artig anmutende Kosmologie und ein phantastisches Panorama von außerirdischen Göt¬tern und einem galaktischen Streit mit universellen Antagonisten. Die Götter wohnen an einem weit entfernten Ort am Rande der Galaxie, oder sogar außerhalb ihrer Grenzen, einem Ort, über dem die Schwar¬ze Sonne scheint, die jenseits unserer goldenen steht und von der Erde aus unsichtbar ist. Bisweilen behauptet Serrano auch, dieser Ort liege abseits von Zeit und Raum, in einem anderen, nicht-existenten Universum: im Grünen Strahl. Die Götter sind ewig und, weil sie über die Macht des Vril und über das Dritte Auge verfügen, allmächtig und allwissend. Sie pflanzen sich asexuell fort, und zwar durch Ausströmen von ätherischem Plasma. In ihren Adern fließt das göttliche Licht der Schwarzen Sonne.20 Serrano zufolge sind diese Wesen die Vorfahren der irdischen Hyperboreer bzw. der nordischen Rassen bzw. der Arier.
Vor hunderttausenden von Jahren, so Serrano, musste sich das kos¬mische Reich der Götter der Herausforderung des Demiurgen stellen, eines untergeordneten, minderen Gottwesens, das die Schöpfung imitierte, ja, wenn nicht sogar verfälschte, indem es eine mindere Art von Schöpfung aus Materie formte. Dieser rebellische Geist begann sich nun auf dem Planeten Erde einzunisten. Einige der Götter (Serrano verwendet des Öfteren den tantrischen Terminus divyas für Gott-Menschen) brachen infolgedessen zu einem heroischen, spirituellen Abenteuer auf, indem sie zur Erde herabstiegen, um die kosmische Revolte des Demiurgen niederzuwerfen. Die divyas verließen ihr Uni¬versum jenseits von Zeit und Raum und drangen durch das kosmische Portal der Venus in das unsrige ein, noch in ihrer göttlichen Form. Sie kleideten sich selbst in Materie und ließen sich auf einem ringförmigen Kontinent nieder, der den Nordpol umgab. Dieses Land nannten sie Hyperborea, in Erinnerung an ihr ursprüngliches Heimatland nahe der Schwarzen Sonne im Grünen Strahl. Das Exil der divyas, diese Welt aus niederer Materie, erschien ihnen seltsam und entsetzlich. Die falsche Schöpfung des Demiurgen war der Entropie und der Involution unterworfen. Den von dem bösen Rebell geschaffenen, bestialischen Kreaturen ging der göttliche Atem ab, der göttliche Geist; sie, die Serrano als ?Roboter?, ?Golems? und als ?Sklaven von Atlantis? bezeichnet, befanden sich auf einer nie endenden Spirale der spirituellen Degeneration, während sie sich gleichzeitig auf der physischen Seinsebene ohne Unterlass vermehrten. In der Welt des Demiurgen gefangen, waren diese Tier-Menschen zur unausgesetzten und fruchtlosen Selbst-Reproduktion in der Materie verdammt, ein Teufelskreis endloser Wiederholung (Kreis der Kreise).21
Serrano postuliert nun, dass die Intervention der Götter, die gleich¬zeitig den Beginn des Zyklus der Zeitalter markiert, den Zweck verfolgte, den Prozess von Involution und Verfall umzukehren. Die inzwischen als Hyperboreer bekannten Götter begannen, die vom Demiurgen erschaffenen, farbigen Rassen in ein festes Kastensystem zu integrieren, in dem Bestreben, die Erde und die gesamte Natur zu vergeistigen.22 Diese Bemühungen wurden jedoch durch Verrat aus den eigenen Reihen vereitelt, als einige der Hyperboreer sich mit ?den Menschentöchtern? (d. h. Töchtern der vom Demiurgen geschaffenen Tier-Menschen) einließen und sich mit ihnen vermischten. Aus diesen sündhaften Verbindungen, die den kosmischen Feindschaftsakt des Demiurgen pointiert wiederholten, entsprangen Bastardrassen, welche die Erde bevölkerten. Das göttliche Blut wurde verwässert, das Wissen um den göttlichen Ursprung schwand, und der Involutions- und Entropieprozess beschleunigte sich.23 Zu weiteren Katastrophen kam es, als ein Mond oder ein Komet auf der Erde einschlug; eine Sintflut folgte, und die Pole der Erde kehrten sich um. Viele der reinblütigen Hyperboreer suchten nun Zuflucht am Südpol. Die Kontinent Hyper¬borea selbst wurde unsichtbar oder verschwand in das Innere der Erde, wo weitere Hyperboreer in den geheimen, unterirdischen Städten Agartha und Shamballah aufs Neue Staaten gemäß der göttlichen Ordnung errichteten.24
Serrano glaubt, Beweise für seine Kosmologie in den Mythologien der ganzen Welt verborgen zu finden. So sieht er in den im Buch Gene¬sis erwähnten Nephelin ein Indiz für den extraterrestrischen Ursprung des Menschen, während er die Geschichte des Sündenfalls einer gan¬zen Rasse dem Buch Henoch entnimmt. Hyperborea wiederum wird in einem griechischen Mythos erwähnt, der erzählt, dass sich Apollo alle neunzehn Jahre zu diesem Ort im Hohen Norden zurückzieht, um seinen Körper zu verjüngen und seine Weisheit zu erneuern. Die aztekische Kosmologie erwähnt den Abstieg von Quetzalcoatl vom Planeten Venus, während irische Legenden die Tuatha De Danann als göttliche Ahnen der Menschen nennen.25 Des Weiteren wagt Serrano die These, dass das plötzliche Auftauchen des für seine erstaunli¬chen kulturellen und künstlerischen Errungenschaften bekannten Cro-Magnon-Menschen im prähistorischen Europa eigentlich die Einwanderung einer von den divyas abstammenden Rasse in das von den abgründig minderwertigen Neandertalern beherrschte Gebiet markiert - wobei die Neandertaler natürlich nichts anderes waren als eine Missgeburt, Gestalt gewordene Schöpfung des Demiurgen.26 Ser¬rano zitiert außerdem Lokamanya Bäl Gangadhar Tilak, der ebenfalls vom arktischen Heimatland der Indo-Arier berichtet, von ihren Wan¬derungen und ihren späteren Versuchen, durch das Kastensystem ihr Blut rein zu halten.27 Unter all den irdischen Rassen, so Serrano, haben allein die Arier die Erinnerung an ihre göttlichen Ahnen noch im Blut, ihrem edlen Blut, das immer noch mit dem Licht der Schwarzen Sonne vermischt ist. Alle anderen Rassen sind Nachfahren der Tier-Menschen des Demiurgen, Eingeborene der Erde.28
Serranos Version der Genesis des Menschen ist eine Variation des Gnostizismus. Die divyas repräsentieren die unverderbliche Weltsee¬le, von der ein Bruchteil auf die physische Seinssphäre hinabsteigt und sich sozusagen in der Materie verfängt. Serranos Kosmologie ist dementsprechend nichts anderes als eine Erzählung über den Geist, der sein Dasein in den Banden der Körperlichkeit fristet, im irdischen Exil, ewig getrennt von der Höchsten Gottheit, der er doch entsprang, während das Licht der ursprünglichen Göttlichen Erleuchtung in einer immer korrupter werdenden Welt, welche die yugas des hinduistischen Zyklus der Zeitalter durchläuft, mehr und mehr abnimmt. Doch da die divyas herabstiegen, um gegen den bösen Demiurgen ins Feld zu ziehen, ist dieser Fall des Geistes und seine Gefangenschaft in der Materie nicht ewig, sondern vielmehr Teil eines höheren Plans, dessen finales Ziel Erlösung ist. Dieses Ziel wird erreicht sein, wenn die hyperboreischen Arier bzw. vtras (der tantrische Terminus für den halb¬göttlichen Heros) ihr Blut gereinigt haben und somit ihr Gedächtnis an ihre göttliche Abstammung wiedererlangen. Wenn die arischen viras ihr göttliches Erbe beanspruchen und wieder zu divyas werden, dann werden sie den Demiurgen besiegen können und die Erde in ein Paradies verwandeln.29
Der Ursprung des Bösen konfrontiert die meisten Religionen mit einem fundamentalen Dilemma. Serrano hat sich in seiner Kosmologie für die Grundidee des Falls eines ursprünglich göttlichen Wesens entschieden: die Rebellion des Demiurgen, welche die neu entstandene Schöpfung zerriss und zu einem scharfen manichäischen Dualismus führte, in dem sich Gut und Böse als koexistente und gleichgestellte Kontrahenten gegenüberstehen. Diese Grundidee entnimmt Serrano der Gnostik der Katharer (einer 1025-1244 existierenden dissidenten Religionsgemeinschaft); wie diese mittelalterlichen Häretiker erkennt auch er den bösen Demiurgen in Jehova, dem Gott des Alten Testamen¬tes. Die Dualisten aus dem 11. Jahrhundert nach Christus prangerten Jehova als falschen Gott an, als einen Betrüger, der nichts mit dem wahren Gott zu tun hat, der weit über dem irdischen Reich steht.30 Diese gnostische Doktrin implizierte natürlich Gefährliches, was die Juden betraf. Da Jehova ja deren ?Stammesgottheit? ist, drängt sich die Schlussfolgerung auf, dass die Juden ihrerseits nichts anderes sind als Teufelsanbeter. Die katharische Häresie drängte die Juden also in die Rolle der Satanskinder und erhob den Antisemitismus in den Status einer theologischen Doktrin, die von einer elaborierten Kosmologie gestützt wird.31 Wenn in Serranos Welt durch die Adern der hyper¬boreischen Arier das Blut der von der Schwarzen Sonne stammenden divyas fließt und sie deren Archetyp verkörpern, dann braucht sein Antagonist der Göttlichen, der Demiurg, eine ?Gegenrasse?, die vom Geist des Herrn der Finsternis erfüllt ist. Serranos Demiurg fand als geeigneten Träger für diesen bösen Archetyp die Juden.32
Serrano zufolge haben die Juden den Hyperboreern ihr göttliches Geburtsrecht geraubt. Überall in der ?Stammesgeschichte? dieses Volkes glaubt der Chilene Beweise dafür zu finden, wie sie die authen¬tischen, göttlich inspirierten Traditionen der arischen Rasse imitieren und verballhornen; das sogenannte ?Volk Gottes? ist nichts anderes als eine Ansammlung von Hochstaplern. Ihre erste Begegnung mit dem Spirituellen - so Serrano - hatten die Juden als ein primitiver Haufen analphabetischer Nomaden, die geistige Lehren von den kaum höher entwickelten chaldäischen Handwerkern aus Ur empfingen deren Mythen und Legenden sie im Buch Genesis plagiierten. Weder Abraham noch Moses waren Juden, und die Hebräer waren gar ein hyperboreisches Volk, dessen Überlieferungen sich die Juden kurzer¬hand zu eigen machten. Nach Serrano sind die Juden nicht einmal eine eigenständige Rasse im biologischen Sinne, sondern ein Bastardvolk, das aus Jahrhunderten der genetischen Vermischung von Kanaanitern, Edomitern, Aramäern, Moabitern, Hethitern, Amoritern, Samaritern, Galiläern, Phöniziern und Philistern entsprang. Erst nach der Rückkehr aus der Babylonischen Gefangenschaft und mit der Errichtung des Zweiten Tempels versuchten die Juden, sich eine rassische Identität zu konstruieren, indem sie durch die Tausenden von strengen Gesetzten und Regeln, die im Buch Deuteronomium zu finden sind, eine Aura der Exklusivität zu kreieren suchten. Zu dieser Zeit war es auch, dass sie zum ersten Mal behaupteten, ein vor allen anderen erwähltes Volk Gottes zu sein, und zwar durch den neuen Bund, den Ezra mit Jehova geschlossen hatte.33
Dieser Versuch der Juden, sich in den Mittelpunkt des göttlichen Heilsplans und der Weltgeschichte zu spielen, konnte nur durch Falschheit und bewusste Verwischung der Wahrheit gelingen. Dies ist nach Serrano der Grund für die Feindschaft zwischen den Ariern und den Juden: Der Chilene beschuldigt die Juden, ihre Nationalge¬schichte und ihre künstliche Pseudo-Religion dem Rest der Menschheit als angeblichen Weg zum Heil aufgezwungen zu haben und dabei gleichzeitig zu verleugnen, dass beides nichts anderes ist als eine sträfliche Verballhornung der von jenseits der Erde stammenden hy-perboreischen Überlieferung. Weiterhin seien die Juden immer bestrebt gewesen, jeglichen Hinweis auf genau diese ursprüngliche, wahrhaft göttlich inspirierte Offenbarung zu zerstören, um die Spuren ihrer furchtbaren Rassenschuld zu verwischen - eine Schuld, die durch bestialische Rituale immer weiter zementiert wird.34 Dieses ganze ?jüdische Projekt? wurde natürlich vom Demiurgen in seinen eigenen kosmischen Plan integriert:
?Dies ist der Sinn und Zweck der jüdischen Methode: nicht etwa, die Reinheit des Blutes zu erhalten und so das ursprüngliche Gedächtnis an die Minne wieder zu beleben [...], um so die Materie zu überwinden und in die höchste Seinsebene aufzusteigen, sondern sich nur und ausschließlich an Materie und Symbole zu binden, wie sie dem Tier-Menschen gebühren, seinem hasserfüllten Groll und seiner Rachlust. [Die Juden] schreiben diese einem ,Gott? zu, der nichts anderes ist als ein Golem [...], der sich einer Gruppe irdischer Wesen bemächtigt hat, um seine eigene Existenz als Inkubus herbeizuführen. [...] Dies ist die Gegeninitiation, die Gegenerwählung, die den Lauf der Dinge in der Geschichte der Menschheit verändert hat.?35
Für Serrano ist ?der Jude? bloße körperliche Manifestation des Antagonisten - eine andere Rolle kommt ihm in der von der ewigen Schlacht zwischen einander entgegengesetzten Archetypen domi¬nierten Kosmologie nicht zu. Der Chilene entdeckt Hinweise dieser jüdischen Verschwörung gegen die hyperboreischen Arier überall in der Weltgeschichte, wobei er allerdings seinen Schwerpunkt auf die Geschichte Spaniens und des amerikanischen Kontinents legt. So sieht Serrano in den Goten, die um 800 n. Chr. von Südschweden her in das östliche Europa vordrangen, die ?heiligste Gemeinschaft der germanischen Arier?. Zwischen dem zweiten und dem sechsten Jahrhundert n. Chr. kolonisierten die Ostgoten Russland und Zentral¬europa, während die Westgoten oder Visigoten (nach Serrano leitet sich dieser Begriff von ?weiße Götter? ab) von 419 bis 713 Spanien beherrschten; doch übten die Letzteren - meint der Amateurhistoriker Serrano, der sich die Geschichte zurechtlegt, wie er es braucht - noch eine ganze Weile nach der Eroberung Spaniens durch die Araber poli¬tischen Einfluss im Norden der iberischen Halbinsel aus; so bewahrten sie dort ihren ?rassischen Genpool?.36 Den Arabern folgten bald viele Juden aus der Levante. Serrano zeichnet nun die Geschichte der Juden in Spanien nach. Er versäumt natürlich nicht, darauf hinzuweisen, dass es diese Sepharden - ungeachtet mancher Rückschläge - schnell zu Wohlstand brachten und hohe Ämter in Staat und Kirche zu ergattern wussten, indem sie scheinbar zum Christentum konvertierten. Die westgotische Elite des Landes rief schließlich die Inquisition ins Leben, um gegen die Juden in Spanien anzukämpfen; 1492 gelang es endlich, sie aus dem Land zu treiben. Doch entgingen viele diesem gerechten Schicksal, indem sie zwar konvertierten, aber als ?geheime Juden? (Marranos) in Spanien weiterlebten, während in der Zwischenzeit sowohl andere Marranos als auch die aus Spanien vertriebenen Juden sich im Mittelmeerraum und in Nordeuropa verbreiteten und sich in der heranbrechenden frühkapitalistischen Ära als kaufmännische Elite etablierten. Serrano sieht in der Geschichte der spanischen Juden - oder besser: in seiner Version derselben - ein lehrreiches Vorspiel des großen Konflikts, der während des 20. Jahrhunderts im Dritten Reich zwischen dem Juden- und dem Deutschtum ausgetragen werden sollte.37
Als Chilene europäischer Abstammung war es Serrano besonders wichtig, eine Verbindung zwischen den Hyperboreern und dem ame¬rikanischen Kontinent herzustellen: Lange vor Kolumbus seien arische Initiaten nach Amerika gereist, ganz so, wie auch die ursprünglichen Hyperboreer Zuflucht am Südpol gefunden hätten. Zu Serranos vorge¬schichtlichen Amerika-Besuchern gehören die Cro-Magnon-Menschen genauso wie die Trojaner. Außerdem beschreibt er ausführlich mittel¬alterliche Siedlungen der Friesen und Wikinger, die sich angeblich in Zentral- und Südamerika niedergelassen und dort regen Kontakt mit den Inkas und anderen indianischen Völkern gepflegt hatten. Auch die Tempelritter lässt Serrano Kolonien in Amerika errichten, die der Orden zwischen 1272 und 1294 gegründet haben soll. Nachdem die Templer 1307 in Europa verboten worden waren, stach eine ganze Flotte vom französischen La Rochelle aus in See und segelte nach Mexiko.38 Die spätere Kolonisierung Südamerikas, und insbesondere Chiles, wurde von Kriegsherren angeführt, in deren Adern westgotisches und baskisches Cro-Magnon-Blut floss - und auf die Serrano stolz seine eigene Blutlinie zurückführt, inklusive seines arischen Äußeren (blaue Augen, blondes Haar) und eines entsprechenden ?Gedächtnisses des Blutes?.39 Sein Amerika ist ein Amerika der Weißen Götter.
An diesem Punkt berührt sich Serranos eigene Mythologie mit der neuen Thule-Ideologie, die sich die nach Südamerika ausgewanderten deutschen Nazis zusammengezimmert hatten. Seine Behauptung, es hätte seit Urzeiten arische Siedlungen in Südamerika gegeben, baut Jacques de Mahieus These aus, derzufolge es in vorkolumbischer Zeit ein südamerikanisches Wikinger-Imperium gegeben habe. Der 1915 in Paris geborene de Mahieu emigrierte, kaum war der Krieg zu Ende, nach Argentinien und nahm dort den Direktoratsposten am Institut für Anthropologie in Buenos Aires an. Durch die falsche Anwendung ethnologischer, archäologischer und linguistischer Parameter ?entdeckte? de Mahieu zahlreiche Überreste von Wikinger-Siedlungen in ganz Lateinamerika. Die Geschichte, die er erzählt, beginnt mit einem Wikin¬ger aus Schleswig namens Jarl Ullmann, der angeblich 967 im heutigen Golf von Mexiko an Land gegangen war. Die ansässigen Indios sahen in ihm den weißen Gott Quetzalcoatl, und er eroberte das Reich der Tolteken. Als jedoch die Mitglieder seiner Armee begannen, sich mit der einheimischen Bevölkerung zu vermischen, brach Ullmann erneut auf und stieß ins Gebiet des heutigen Venezuelas und Kolumbiens vor. Ein späterer Wikinger-Häuptling namens Naymlap kolonisierte seinerseits Peru, das spätere Zentrum des Inkareiches, welches dementsprechend von einer Elite nordischer Abstammung regiert wurde.40 Obwohl die Wikinger, die in Lateinamerika einfielen, laut Mahieu nicht mehr als 500 Männer zählten, stellt er Kalkulationen an, nach denen es im Jahr 1290 eine nordisch-stämmige Population von 80.000 Köpfen gegeben haben soll. Das Erbe dieser in den Nebeln der Geschichte verschwundenen Wikinger sieht de Mahieu in der blassen Haut, den blauen Augen und den blonden Haaren, wie man sie unter den Indianern immer wieder finden kann; außerdem behauptete er, Runeninschriften entdeckt zu haben, darunter sogar das Zeichen des Hakenkreuzes.41 Die im Original französischen Werke de Mahieus wurden von Wilfred von Oven ins Deutsche übersetzt, Goebbels? ehemaligem Stellvertreter, der nach dem Krieg nach Buenos Aires geflohen war.
Serrano meint nun, die Juden wären den arischen Amerika-Aus¬wanderern dicht auf den Fersen gewesen - entweder in der Absicht, ihnen ihr uraltes Wissen zu stehlen, oder um das nordische Erbe zu verunreinigen. Die verschwunden geglaubten israelitischen Stämme Levi und Rüben kamen in uralten Zeiten nach Amerika; der schädliche Einfluss dieser Juden, so Serrano, ließe sich unter vielen primitiven Indianerstämmen finden.42 Die spätere sogenannte ?Entdeckung? Amerikas durch Kolumbus war in Wahrheit eine von den Juden ge¬plante Operation, die zum Ziel hatte, die Templer aufzuspüren und deren Gralsschatz in die Finger zu bekommen. Die Juden befürchteten nämlich, in der westlichen Hemisphäre und am Südpol könnte die Restauration des hyperboreischen Reiches jenseits ihres Einflussbe¬reiches bereits in vollem Gange sein. Im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert nun wanderten sowohl Marranos als auch orthodoxe Juden aus den Niederlanden in Amerika ein und gründeten von Bra¬silien bis New York überall Geheimbünde, unter dem Deckmantel ihrer Handelgesellschaften und der Kahal Kadosh (der ?Heiligen Ver¬einigung?).43 In Serranos Augen ist die jüdische Diaspora in Amerika nichts anderes als ein dämonischer Kreuzzug gegen die Weißen Götter des Kontinents. Unterstützung findet die anti-weiße Kampagne unter ?weißen Verrätern? - den Christen und den Freimaurern. Und so wurde aus dem amerikanischen Kontinent der ?brodelnde, monströse Schmelztiegel, voll mit Mestizen und Mulatten?, der er heute ist. Nur in geheimen Städten in den Anden, im Innern der Erde und in den Oasen der Antarktis leben die Weißen Götter noch in Sicherheit - Orte, in die der Feind niemals eindringen kann.44 - So erzählt Serrano seine unwahrscheinliche Version der Geschichte Amerikas, in der die Juden einmal mehr als ?der schwarze Schatten der weißen Götter? die Rolle des gnostischen Antagonisten übernehmen und die vieles ist, aber vor allem ein überdeutliches Beispiel für eine ideologische Symbiose von auf lateinamerikanischem Boden gewachsenem Rassismus und nazistischem Gedankengut europäischer Herkunft.
Serranos okkulte Geschichte der Neuen Welt geht eine naheliegen¬de Verbindung ein mit dem Mythos um eine freimaurerische oder jüdische Weltverschwörung - eine Mär, die schon seit der Zeit der Französischen Revolution im Umlauf ist. Damals bereits stieß sie bei nervösen Monarchisten, Aristokraten, Klerikern und anderen sozialen Gruppierungen, welche die rapiden Veränderungen und Umstürze der Moderne in Angst und Schrecken versetzten, auf offene Ohren. Die Protokolle der Weisen von Zion ?enthüllen? im Detail gar furchtbare jüdische Intrigen, die zum Ziel haben, alle Herrschenden vom Thron zu stürzen, die existierenden Religionen zu unterminieren und zu ver¬nichten und die gesamte adlige Welt durch internationale Bankhäuser, Kriege, künstlich herbeigeführte Wirtschaftskrisen, Revolutionen und allgemeine Anarchie zu manipulieren und zu versklaven. Demokratie, Liberalismus und Sozialismus dienten den Juden dabei als Mittel, jede traditionelle Autorität zu untergraben. Es war ihr ultimativer Plan, jegliches Staatensystem zu zerstören und dann ein jüdisches Weltreich zu errichten, das von einem König aus dem Hause David regiert werden sollte - dem Antichristen.45 Wenn er von der Macht der Juden in der modernen Welt spricht, dann zitiert Serrano die Protokolle wortwörtlich: Die Juden planen, die Erde zu beherrschen; sie werden sich die edleren Nationen Untertan machen, und zwar mittels Spekulation, ruinöser Zinsen und Wirtschaftskrisen, die sie selbst ausgelöst haben; das internationale Netzwerk der Freimaurer leistet den jüdischen Zielen Vorschub; sollte eine Nation jemals versuchen, den Fängen der Juden zu entkommen, wird derartige Opposition im Keim erstickt, indem ein Krieg zwischen dem rebellischen Land und dessen Nachbarn angezettelt wird.46
Wie die meisten antisemitischen Leser der Protokolle glaubt auch Serrano, dass Informationen über diese jüdische Weltverschwörung zum ersten Mal während des Zionistenkongresses durchsickerten, der im August 1897 in Basel abgehalten wurde; die delikaten Informa¬tionen gelangten dann über Paris nach Russland, wo sie Sergej Nilus 1905 erstmalig einer breiten Öffentlichkeit enthüllte; jedenfalls tat Nilus wirksam so, als gäbe es etwas zu enthüllen. Einige Fotos sollten Authentizizät suggerieren, darunter ein Erinnerungsgruppenbild der Kongressteilnehmer und bedrohlich wirkende Aufnahmen des Veran¬staltungsortes, des Herrenhauses von Dreyfus Brodsky.47 Serrano nun identifiziert den auf dem Gruppenfoto abgebildeten Achad Ha?am, alias Asher Ginzberg (1856-1927), als denjenigen, der die Protokolle in den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts in Odessa herausgegeben hatte; vermutlich geht diese Spekulation auf Lesley Fry (Mrs. Shishmarev) zurück, eine Russisch-Amerikanerin, die in den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts publizierte.48 Ginzberg war ein mystischer Zionist, der in Jerusalem das künftige kulturelle Zentrum des Judentums sah und damit Theodor Herzls eher weltlichem Nationalismus entgegenstand. Das machte ihn in Serranos Augen zu einer nur noch finstereren Gestalt: Solch geheimer, symbolischer Zionismus strebte danach, ein ?irdisches chakra? zu erschaffen, von dem aus die Vereinigung Israels und die Eroberung der Welt durch den Gegen-Avatar des Herrn der Finsternis in Angriff genommen werden sollte.49 Man braucht wohl nicht zu erwähnen, dass Serrano Ginzberg trotz allem nicht zum geheimen Rat der Weisen zählte, da, wer diesem zugehöre, immer im Schatten und anonym bleibe und die Geheimnisse der Weisen zu wahren wisse; heutzutage warteten diese düsteren Zeitgenossen sogar im Verborgenen unter der Erde darauf, dass ihre Zeit anbreche. Dort befänden sie sich in Sicherheit vor dem atomaren Holocaust, den sie jederzeit entfesseln könnten.
Ein weiterer großer Einfluss auf Serranos Denken ging und geht auf eine frühere Quelle der Mär von der jüdischen Weltverschwörung zu¬rück: auf den Roman Biarritz (1868). Dessen Autor, Hermann Goedsche, der unter dem Pseudonym Sir John Retcliffe schrieb, gehörte zur Redak¬tion der konservativen Berliner Kreuzzeitung. Eines der Kapitel seines Romanes trägt den Titel: ?Auf dem Jüdischen Friedhof in Prag?; darin ist von einem geheimen nächtlichen Treffen zwischen zwölf Abgesandten der jüdischen Stämme zu lesen, ein ?kabbalistischer Sanhedrin?, der alle hundert Jahre stattfindet und im Zuge dessen die Abgesandten einander
Bericht erstatten über den Fortschritt, den ihre jeweiligen Stämme im letzten Jahrhundert in Richtung Weltherrschaft gemacht haben. Das gruselige Setting des Treffens, die Düsternis der Mitternacht und die Anspielungen auf satanische Rituale, die in dieser, natürlich fiktionalen, Erzählung gemacht werden, geben der enthüllten Verschwörung eine nur noch unheimlichere Aura. Die Abgesandten reden einer nach dem anderen über die gewaltige Konzentration jüdischen Kapitals in allen Hauptstädten Europas. Zukünftige Pläne umfassen etwa die Aneig¬nung von Grundbesitz sowohl auf dem Land als auch in der Stadt; ehrliche Handwerker sollen ruiniert und dafür die Massenproduktion vorangetrieben werden; die Juden müssen volle Bürgerrechte erhalten; Mischehen mit den Gojim (Nicht-Juden) mögen arrangiert werden, um auf diesem Wege die Aristokratie und andere einflussreiche Familien zu infiltrieren; nicht zuletzt wolle man Kontrolle über die Presse, das Gesundheits- und das Justizsystem erlangen. ?Wir werden der Welt vor¬beten, was sie zu denken und zu glauben, zu preisen oder zu verdammen hat?, proklamiert ein Sprecher. ?Wir werden den Glauben unserer Feinde an alles zerstören, was ihnen lieb und teuer ist.?50
Angesichts des Erscheinungszeitpunktes dieses Romans ist es sehr wahrscheinlich, dass sein Inhalt die steigende Besorgnis der Konserva¬tiven in Deutschland ob der wachsenden gesellschaftlichen Integration der Juden nach der Revolution von 1848 widerspiegelt; die deutschen Juden errangen damals mehr und mehr Rechte; während der Jahre 1867-71 erreichten sie sukzessive ihre völlige Gleichstellung. Unter anderem um ebendiese Rechte zu erlangen, hatten sich die deutschen Juden mit den politischen Liberalen in Deutschland zusammengetan, und jüdische Vertreter der Geschäfts-, Finanz- und der akademischen Welt, der Presse und anderer gehobener Berufe spielten nicht selten eine hervorgehobene Rolle in der Gesellschaft; in der Tat war die Anzahl prominenter jüdischer Deutscher und Österreicher auf diesen Gebieten überproportional zum jüdischen Bevölkerungsanteil in bei¬den Ländern. Diese Entwicklung war zu einem Großteil der Tatsache geschuldet, dass die jüdische Bevölkerung so lange daran gehindert worden war, sich in die bürgerliche Gesellschaft zu integrieren, an ihren Errungenschaften teilzuhaben, aber auch zu ihrem Fortschritt beizutragen, so dass ihre Mitglieder jetzt, da sich ihnen plötzlich die Gelegenheit bot, sie mit beiden Händen ergriffen und die entstehenden Möglichkeiten in den beiden Kaiserreichen, sei es im öffentlichen Dienst oder in der Geschäftswelt, nach besten Kräften zu nutzen wussten.51
Die Mär von einer jüdischen Intrige fiel also bei den reaktionären Kräf¬ten auf fruchtbaren Boden. Goedsches Thriller wurde flugs zu einem ?historischen Dokument? umgemodelt, das unter dem Titel Die Rede des Rabbi in Russland, Österreich-Ungarn und Deutschland von 1872 bis zur Jahrhundertwende mehrmals in Umlauf gebracht wurde. Es ist durchaus möglich, dass dieses gefälschte Dokument der Geheimpolizei der russischen Zaren als Vorlage diente, als sie Ende der 90er-Jahre des 19. Jahrhunderts ein anderes Falsifikat, nämlich die berüchtigten Protokolle, produzierte; jedenfalls wurden beide Texte oft zusammen abgedruckt, und die Rede führte man nicht ungern als Beweis für die Echtheit der Protokolle an.52 Das so lebhaft erzählte Kapitel aus Biarritz gab dem Antisemitismus der Nazis weitere Nahrung; Johannes von Leers publizierte 1933 ?Auf dem Jüdischen Friedhof in Prag? in Form einer Broschüre, und drei weitere Auflagen erschienen während der Zeit des Dritten Reiches - eine davon diente Serrano als Quellentext. Serrano ist sich durchaus bewusst, dass die Protokolle gemeinhin als Fälschung betrachtet werden, unter anderem, weil sie nachweis¬lich ein noch älteres politisches Pamphlet plagiieren. Verfasser der mutmaßlichen Vorlage ist der französische Schriftstellers Maurice Joly; der Text trägt den Titel Dialogue aux Enfers entre Montesquieu et Machiavel (?Gespräch in der Hölle zwischen Montesquieu und Machi-avelli?), erschien 1864 und attackiert von liberalem Standpunkt her den Despotismus Napoleons III.. Doch Serranos unerschütterlicher Glauben an die den Juden vom Demiurgen eingegebene Weltintrige lässt nun einmal keinen Raum für Zweifel. Er fragt sich zwar, woher Goedsche wohl seine Informationen bezogen haben mag; bei seinen Nachforschungen fällt ihm jedoch auf, dass weder Joly noch die Pro¬tokolle bestimmte Schlüsselstellen enthalten, die sich in Goedsche oder der Rede des Rabbis finden lassen. Daraus zieht er den Schluss - oder besser: er beschließt, dass letzterer Text die gemeinsame Quelle all der anderen sein muss, die vor 1864 entstanden sind. Die ?Dokumente? existieren ja schließlich, und deswegen steht für Serrano fest, dass es einen authentischen Prototext gibt, dessen Verfasser sich nur eben nicht mehr feststellen lässt. Dieses obskure Dokument war dem Chilenen zufolge lange Zeit unter den russischen Rabbis von Simferopol in Umlauf und wurde in deren Hofarchiven in Odessa aufbewahrt. In Serranos Augen sind die Protokolle das einzige Überbleibsel einer in den Nebeln der Geschichte verschwundenen Überlieferungstradition, von der fast jede Spur ausgelöscht wurde.53 Die jüdische Weltverschwörung bildet den Eckstein von Serranos gnostischer Kosmologie; nicht einmal eindeutige Nachweise, dass seine Quellen auf Fälschung und Plagiat beruhen, können ihr etwas anhaben, und über Nebensächlichkeiten wie historische Motivationen und die Sinnfragen ist sie längst erhaben.
Serrano assimilierte aber nicht nur krude, paranoide Verschwörungsphantasien in sein elaboriertes kosmologisches Konstrukt, sondern auch den metaphysischen Antisemitismus ä la Otto Weininger und Julius Evola. Der Chilene zitiert die Einleitung des Chefintellektuellen des italienischen Neofaschismus, Claudio Mutti, zu einer Ausgabe der Protokolle, wenn er von Weiningers ?platonischer Idee? des Judentums als der ?intellektuellen Tendenz? oder ?psychischen Konstitution? der Moderne spricht und diese Idee als einen Archetypen betrachtet, der in fundamentaler Opposition zu dem des hyperboreischen Hel¬den steht. Des Weiteren stimmt Serrano mit Evola überein, der den ?jüdischen Geist? als Manifestation der Abstraktion, des Kalküls und des mechanistischen Denkens beschrieb. Er verrät seine deutliche Beeinflussung durch Evolas Tre aspetti del problema Ebraico (?Drei As¬pekte des hebräischen Problems?, 1936), wenn er in Albert Einsteins Relativitätstheorie eine atomistische jüdische Kosmologie sieht, die ?das einheitliche arische Universum in Tausende einander reflektieren¬de Spiegel auflöst, ja zersprengt?. Außerdem bezieht sich Serrano auf Evolas Liste jüdischer Mathematiker und Physiker, wobei er primär die Entwickler der Quantentheorie in den Blick nimmt: Tullio Levi-Civita, Hermann Weyl und Max Born. Er stimmt dem Italiener zu, wenn er behauptet, die Reduktion aller Existenz auf subatomare Partikel und mathematische, algebraische Formeln führe zu einer geist- und sinn¬entleerten Welt.54 - Hiermit erklärt Serrano die ?jüdische? Moderne zu einem dämonischen Prinzip, das die arischen Helden ihres spirituellen Geburtsrechts enthebt - der Existenz auf einer höheren Seinsebene.
Serranos Blick auf die Gegenwart ist der eines fundamentalen Kul¬turpessimisten. Die moderne Welt ist, meint er, im Netz des Demi-urgen und seiner jüdischen Helfershelfer gefangen und befindet sich in einem fortgeschrittenen Zustand des Verfalls, der dem Kaliyuga entspricht. Serrano lehnt sowohl Christentum als auch Aufklärung und Rationalismus entschieden ab. Kunst und Tradition seien tot; die Menschen vermehrten sich wie die Karnickel und fristeten ihr Dasein in Wohnsilos wie in einem Ameisenhaufen aus Beton. Bei jeder Gelegenheit zeigt Serrano seine beißende Verachtung für die gegen¬wärtige Zeit - für die tierische Promiskuität der niederen Rassen, das in Südamerika herrschende Rassenchaos, die Herrschaft der Massen und der Märkte, den Materialismus und die Industrie, die Besessenheit der Gesellschaft mit Masse statt Klasse und für die totale Sinnentleert¬heit des Atomzeitalters. Geld, Elektronik und Zahlen haben allerorts den Platz von Ordnung und (gottgegebener) Hierarchie usurpiert. ?Der Vierte Stand wird herrschen - eine Herrschaft des Kollektivs, der Maschinensklaven, der Automaten, der planetaren Bürokraten, der Roboter und Ameisenmenschen.?55 Dagegen setzt Serrano seine Erlösungstheologie, ein verworrenes, mythologisches Gespinst, das die Gnostiker, die Druiden, die Katharer und die Tempelritter mit ihrem Gral zu ?Geheimagenten? einer hyperboreischen Gnostik in einem finsteren Zeitalter erklärt.
Verschwörung und Krieg sind die wiederkehrenden Leitmotive des Esoterischen Hitlerismus. So können der erste Fall Hyperboreas und das Ende des Goldenen Zeitalters nur durch einen großen kosmischen Krieg der Welten herbeigeführt worden sein.56 Doch solchen Konflikten wohnt in Serranos Universum auch eine erlösende Kraft inne. Die großen Kriege der Kauravas und Pandavas, von denen das Mahab-harata berichtet, die Kriege der Wanen und Äsen in der altnordischen Mythologie und vor allem der Große Krieg von 1939-45 waren, so der Chilene, nichts anderes als Strafaktionen gegen jene, die sich mit anderen Rassen vermischt und somit ihr göttliches Blut verunreinigt hatten.57 Serrano tritt in die Fußstapfen Savitri Devis, wenn er in Adolf Hitler einen Avatar sieht, einen göttlichen Vermittler zwischen den hyperboreischen Göttern und den Menschen (womit natürlich ganz allein die arische Rasse gemeint ist). Außerdem nennt er Hitler einen bodhisattva oder tulku - Begriffe aus dem Mahayana-Buddhismus, die ein göttliches Wesen bezeichnen, das des Nirvanas würdig ist, jedoch aus eigenem Entschluss auf die Erde zurückgekehrt ist, um die Men¬schen zur Erlösung zu führen. Der arisch-hyperboreische Archetyp fand nach Serrano seine Inkarnation in Adolf Hitler und verfolgte das Ziel, den Demiurgen zu besiegen, den großen Teufelskreis (Kreis der Kreise) zu durchbrechen und die weiße Rasse zu retten. Nach seinen Siegen im Westen und Skandinavien und nachdem seine Hoffnungen, Großbritannien auf seine Seite zu ziehen, mit der gescheiterten Flucht von Rudolf Heß zerschlagen worden waren, fasste Hitler - so Serrano -den Beschluss, die Sowjetunion anzugreifen und den USA den Krieg zu erklären, denn beide Länder waren Bastionen jüdischer Macht in der modernen Welt. Hitlers Ziel war dabei ein offener, umfassender avatarischer Krieg gegen die dämonischen Kräfte des Kaliyuga, um das Rad der Geschichte vom dunklen Zeitalter in ein neues goldenes weiterzudrehen.58
Serrano ist Südamerikaner und hat somit keine direkte Erfahrung mit oder Erinnerung an die Gräueltaten der Nationalsozialisten; darum fiel es ihm wohl leichter, das Dritte Reich in millenaristischem Lichte zu betrachten. Für ihn bedeutete Hitlers Machtergreifung im Jahr 1933 nichts anderes als den unmittelbaren Eingang Deutschlands in das ?Esoterische Reich der virus?, den Eintritt in eine andere Dimension durch einen ?Klick? in der Geschichte. Hitler ist das Zentrum eines archetypischen Energiefeldes, kein Despot, der an der Spitze einer Hierarchiepyramide steht; die Kritik Evolas am Nationalsozialismus wegen des plebejischen Charakters dieser Bewegung lehnt Serrano kategorisch ab. Ganz besonders verehrt der Chilene die SS, in der er einen esoterischen Orden von Eingeweihten sieht, die sich auf der Suche nach dem Heiligen Gral des hyperboreischen Blutes befanden. Seitenlang beschäftigt sich Serrano mit der architektonischen Symbolik der Wewelsburg, wo Himmler die Erinnerung an Parsifal und die Gralsritter zu neuem Leben erweckte. Dort, so behauptet Serrano, habe die SS Yoga praktiziert und geheime Riten zelebriert, um das Gedächtnis des magischen Arierblutes wiederherzustellen und so ihre alchemistische ?Große Transmutation? in Gott-Menschen herbeizu¬führen. Die mörderischen Aktivitäten der SS fanden für Serrano nur auf einer symbolischen Ebene statt - sie waren Teil des kosmischen Krieges, der in himmlischen Sphären ausgetragen wird. Die sechs Millionen jüdischen Holocaust-Opfer haben für den Chilenen ebenfalls rein symbolischen Wert, denn die Zahl 6 ist schließlich ein Archetyp des jüdischen kollektiven Unbewussten. Die Summe ?sechs Millionen? ist also nichts weiter als eine menschliche Erfindung, deren Wurzeln in der ?kabbalistischen Weltverschwörung Jehovas liegen? - so Serranos Rechtfertigung für die Leugnung des Holocaust.59
In Serranos Augen ist die Niederlage des Dritten Reiches von 1945 nur zeitweilig und auf die bloße äußere Welt beschränkt. Die Nazis hatten sich längst einen geheimen Zufluchtsort errichtet, und zwar unter der Eiskappe der Antarktis. Möglicherweise ist dies sogar in Allianz mit jenen Hyperboreern geschehen, die vor Urzeiten das Inner der Erde kolonisiert hatten. Deren fortgeschrittene Technologie, die au den Prinzipien der Implosion und der Antigravitation basiert, ist fü die zahllosen Sichtungen von UFOs nach dem Krieg verantwortlich  die Unbekannten Flugobjekte sind außerdem Vorboten einer neuen Zivilisation, welche die Erde veredeln wird, anstatt sie zugrunde zu richten. Nach seiner Flucht weilte Hitler Serrano zufolge eine Zeitlang in den warmen Oasen mitten in der antarktischen Eiswüste, doch höchstwahrscheinlich ist er inzwischen längst mit einem UFO durch das interdimensionale Venus-?Fenster? nach Hause gereist - in seine archetypische Heimat unter der Schwarzen Sonne, im Grünen Strahl, weit jenseits unserer Galaxie.60 An anderer Stelle erwähnt Serrano ?Paralleluniversen? und ?astrale Wurmlöcher?, um seinen Glauben zu rechtfertigen, Hitler habe überlebt, befinde sich jetzt in einer anderen Dimension, und die Wandlung unserer Welt stehe kurz bevor.
Serrano, der einer erneuten Intervention des Avatars Hitler in den wiederaufflammenden kosmischen Konflikt harrt, ist der Überzeu¬gung, dass Erlösung im gnostischen Sinne auf inneren Bewusstsein-sebenen erreicht werden kann. Dieser innerpsychische Kampf gegen den Demiurgen wird durch magische Rituale und tantrisches Yoga ausgetragen, Praktiken, welche die Transmutation der individuellen arischen vira herbeiführen können. Serrano konstruiert eine Physio¬logie des Astralleibs, in welche er Chakren, Mudras, Yoga-Mantras und alt-nordische Runen inkorporiert. Das einzelne Individuum kann durch Yoga und Meditation zur Erlösung gelangen: Das Blut wird geläutert, das göttliche Licht fließt wieder so rein und unverfälscht wie zu Urzeiten durch die Adern des arischen Helden, dessen Chakren auf das Göttliche eingestimmt werden, bis er sich endlich ganz zum Gott-Menschen wandelt. Mithilfe einer Reihe komplexer Illustrationen interpretiert Serrano die ausgestreckte rechte Hand des Hitler-Grußes als ein Yoga-Mudra, das dazu dient, kosmische Energie in die Chakren zu ziehen; diese wiederum sind in den Rotationszentren der Sonnen-radrune - des Hakenkreuzes - symbolisiert.61 Diese Erlösung oder Erhebung des Physischen findet ihre Vollendung in der Wandlung der Erde in ein Paradies. Serrano geht davon aus, dass dieser Prozess in einer Parallelwelt, in einer anderen Dimension, stattfindet, welche sich dem irdischen Volk eröffnen wird, wenn der Fluch des Demiurgen erst einmal gebrochen ist. Die so lange in der Illusion der Materie gefan¬genen Arier werden dann endlich wieder zu hyperboreischen divyas und werden die Schwarze Sonne und den Grünen Strahl erblicken, und zwar ?auf der anderen Seite ihrer Sinne?; dies wird ausgelöst werden durch einen ?Klick? im Raum-Zeit-Kontinuum, der jederzeit passieren kann.62
Serrano selbst praktiziert schon seit langem Yoga und Meditations¬techniken, um sein Bewusstsein auf Ebenen zu heben, die jenseits des Einflussbereiches des Demiurgen liegen, und um in Kontakt mit einer höheren, arischen Intelligenz zu treten. Man weiß von mindestens einem Besuch Serranos auf der Wewelsburg in Westfalen, in Zuge dessen er zusammen mit seinen Freunden ?religiöse? Nazi-Rituale zelebrierte. Hier, in der Krypta unter dem großen Nord türm der Burg, stellten sich der Chilene und seine Mitzelebranten in Runen nach¬empfundenen Positionen auf und rezitierten ?nordische? Mantras. In seinen Schilderungen dieser Rituale weiß Serrano zu berichten, wie tiefe Vibrationen den akustischen Raum durchdrangen, welcher nach den Prinzipien ?arischer Mathematik? angelegt worden war, um die weltliche Wirklichkeit aufzuheben und es den Zelebranten zu ermöglichen, in ein anderes Universum einzutreten. Serrano selbst sprach die Grußmantras, mit denen er die Brahmanen seines alten esoterischen Ordens beschwor, einmal mehr in den Krieg einzutreten, sich mit den Führern der SS zu vereinen und Hitler in seinem Kampf gegen die Mächte der Finsternis zu unterstützen, gegen den Schatten¬herrn und seine Helfershelfer auf diesem Planeten. Für Serrano stand diese Kampagne in engem Bezug zum esoterischen Symbolismus und den architektonischen Plänen des Wewelsburger Nordtums, der zum Zentrum jenes ?SS-Vatikans? hatte werden sollen, zum Omphalos der germanischen Welt. Dem Chilenen zufolge hätte sogar in der Laterne auf der hohen Kuppel des Turmes ein kleiner Thronraum mit 13 Sitzen errichtet werden sollen - eine bizarre Parodie des Petersdoms in Rom. Von hier aus würde der ?Führer-Parsifal? den Befehl zum finalen Angriff auf den Demiurgen und seine irdischen Legionen geben.63
Angesichts der sehr persönlichen und eklektischen Natur von Serranos nazistischer Mythologie stellt sich die Frage, wie er von der rechten Szene insgesamt beurteilt wird und wie einflussreich seine Ideen sind. Schon während seiner Zeit als Botschafter Chiles in Österreich (1964-70) und später in der Schweiz knüpfte Serrano starke Freundschaftsbande zu Altnazis, darunter Leon Degrelle, Otto Skorzeny, Hans-Ulrich Rudel und Hanna Reitsch, der berühmten Pilotin. Er stattete Julius Evola in Rom einen Besuch ab und traf sich mit Herman Wirth, dem greisen Ex-Direktor von Himmlers Ahnenerbe, in Westdeutschland und mit Wilhelm Landig in Wien. Auch sicherte er sich eine ?Audienz? bei dem US-amerikanischen, mit dem Faschismus liebäugelnden Dichter Ezra Pound, der zu jener Zeit in Venedig lebte.
 Zu seinen Freunden zählte außerdem der ehemalige französische Waffen-SS-Kämpfer Saint-Loup, dessen Geschichten über Otto Rahn, Montsegur und Skorzenys Gralssuche zu wichtigen Inspirationsquel¬len für Serrano wurden. Des Weiteren trug der Chilene Bücher aus der Feder Robert Charrouxs zusammen; die Werke des französischen Fantasy-Schreiberlings, der unter Vichy im kriegsgebeutelten Frank¬reich Minister gewesen war, beschäftigen sich mit extraterrestrischen Göttern. Unter all diesen rechtsgerichteten Zeitgenossen stand Serrano Leon Degrelle wohl am nächsten, auf dem er in einem Interview, das er einer faschistischen Zeitschrift gab, eine regelrechte Eloge sang; dasselbe Magazin veröffentlichte auch ein Foto, das Serrano und Degrelle gemeinsam in Spanien zeigt.64
Nach dem Militärputsch vom September 1973 kehrte Serrano nach Chile zurück. Innerhalb des Pinochet-Regimes stießen seine Ideen freilich auf wenig Gegenliebe. Von da an produzierte Serrano sich als eine Art intellektuelle, nazistische Nervensäge, der die Sache der unausrottbaren, gläubigen Nazis in Chile und anderswo zu seiner eigenen machte. So ?ehrte? er im Mai 1984 etwa den ehemaligen SS-Oberst Walter Rauff bei dessen Beerdigung in Santiago mit einem unübersehbaren Hitler-Gruß; der Altnazi hatte sich sein Leben lang in Chile dem Arm der westdeutschen Justiz entzogen.65 Rauff hatte während des Krieges im Reichssicherheitshauptamt der SS gedient; in dieser Funktion war er federführend bei der Organisation ?mobiler Tötungsoperationen? während der Frühphase des Holocaust, bei denen Juden in spezifisch dafür konstruierten LKWs vergast wurden. Er war verantwortlich für den Tod von 97.000 Juden, entzog sich jedoch der Auslieferung mit der finanziellen und juristischen Hilfe des Netzwerkes Das Reich. Des Weiteren lässt es sich Serrano nicht nehmen, jährliche Feiern zu Hitlers Geburtstag am 20. April auszurichten, die auf einem chilenischen Landsitz stattfinden. 1986 brachte er ein politisches Manifest in Umlauf, in dem er dem Nationalsozialismus als einziger Rettung des Südens Lateinamerikas das Wort redete.66 Die chilenische Öffentlichkeit kennt Serrano als Gestalt in schwarzem Le¬dermantel, die etwa Nazi-Massenkundgebungen leitet; die wichtigste davon fand am 5. September 1995 in Santiago statt. Während dieser /Veranstaltung? wurden fleißig Hakenkreuzfahnen geschwenkt und Märsche abgehalten. Das Ganze wurde zu Ehren von Rudolf Heß und m Erinnerung an die chilenischen ?Nazi-Märtyrer? von 1938 inszeniert. Serrano unterhält auch lebhaften Briefverkehr mit führenden Köpfen der neonazistischen Szene in Übersee und führt des Öfteren Telefon¬gespräche mit Matt Koehl vom New Order (?Neuer Orden?), der Nachfolgeorganisation von Lincoln Rockwells American Nazi Party. Es ist sehr wahrscheinlich, dass all die Altnazis Serranos Begeisterung für den Nationalsozialismus und seine unerschütterliche Treue zu ihrem Helden Adolf Hitler sehr gern sehen - wenn sie auch seine Mythologie für Phantasterei halten mögen.
Ein etwas anderes Bild erhält man, wenn man sich ansieht, was die jüngere Generation der Neonazis von Serrano hält; deren Nazismus ist dem historischen Kontext des Dritten Reiches längst entwachsen und zu einer globalen rassistischen Ideologie weißer Vorherrschaft gewor¬den. Die machtvollen Mythen des Elitarismus, der weltweiten arischen Berufung und der kosmischen jüdischen Verschwörung werden in diesem Kontext ohnehin gern mit sensationsträchtigen Pop-Mytho¬logien, hinduistischen Begriffen und Ideen von extraterrestrischen arischen Göttern aufgepeppt. 1987 erschien in Westdeutschland eine Übersetzung von El Cordön Dorado; herausgebracht hatte sie Richard Schepmanns Teut-Verlag (Wetter/Ruhr), der sich auf den Nachdruck der Veröffentlichungen von Nordland, des Verlags des Ahnenerbes, spezialisiert hat und auch gern Dossiers über Nazi-UFOs publiziert. Eine englische Übersetzung wurde erst vor kurzem von der zu Wo¬tansvolk gehörigen 14 Word Press in den USA auf den Markt gebracht (siehe Kapitel 13). Die rechtsextreme griechische Zeitschrift To Antidoto veröffentlichte ein ausführliches, illustriertes Interview mit und über Serrano, der außerdem neuerdings eine hervorgehobene Rolle in der Untergrundliteratur des Black Order (des ?Schwarzen Ordens?) spielt, einer kleinen, aber internationalen Neonazi-Gruppierung, die Logen in Großbritannien, den USA, Italien, Schweden, Australien und Neusee¬land unterhält. Der Black Order vermischt hitlerianische Mythologie mit seiner ganz eigenen Prägung von Nazi-Satanismus und leugnet dabei die christlichen Wurzeln der westlichen Zivilisation zugunsten eines (Neu-)Heidentums in nordischer Tradition.67
In seinen Interviews ist Serrano bestrebt, ein junges Publikum für seine Ideen einzunehmen, indem er seine Vision eines magischen, mil-lenaristischen Nationalsozialismus mit einem korrupten, übersättigten modernen Liberalismus kontrastiert. Er verwendet hochtrabende heroische Metaphern: Sich selbst beschreibt er als ?Krieger-Trouba¬dour? (eine Bezugnahme auf den Katharismus) und seine Werke als ?extra-stellare Poesie?. Serrano malt ein dualistisches Bild von arischer Mystik mit altgermanischen Göttern, verlorenem Heimatland, pola¬rem Mystizismus und extraterrestrischen Gottheiten versus jüdische ?Schwarze Magie?, die sich auf die Macht des Geldes, auf wirtschaft¬liche Ausbeutung, auf Atomkraft und Umweltverschmutzung stützt. Sein Antisemitismus ist von kosmischen Dimensionen; das Judentum ist die Wurzel für alle Entfremdung und Unmenschlichkeit auf der Welt. Abstraktion, die Massengesellschaft, die Computerisierung aller Lebensbereiche, die Zerstörung der Natur - Phänomene, die allgemein in unserer zunehmend automatisierten Gesellschaft Besorgnis erregen - werden dem dämonischen kollektiven Geist der Juden in die Schuhe geschoben.68 Für Serrano geht alle Sünde, alles Leiden und alles Chaos auf das Konto der Juden, die eifrig das Ziel verfolgen, die Erde und all ihre Kreaturen zu versklaven und letztendlich zu zerstören. Damit offeriert der Chilene eine Art nazistische Mystik, welche die Wirklichkeit des Dritten Reichs - Tyrannei, Folter und Unterdrückung - ausblendet und stattdessen lieber ein Netz von Mythen spinnt über SS-Helden, phantastische Städte und ein magisches, arisches Millennium. Dieser Mythos zieht dem gnostischen Weltekel, der alle Schuld und Sünde auf einen verhassten Feind projiziert, eine New-Age-Maske über und wirkt gleichzeitig als ein potenziertes Destillat nazistischer Ideologie auf beeinflussbare junge Geister ein.
1    Friedrich Paul Heller und Anton Maegerle: Thule: Vom völkischen Okkultismus bis zur Neuen Rechten, Schmetterling Verlag, Stuttgart, 1995, S. 89-92.
2    Die hier angeführten biographischen Details stammen aus der vierbändigen Autobiographie Miguel Serranos: Memorias de El y Yo: 1. Band, Apariciön del ?Yo? - Alejamiento de ?El?, La Nueva Edad, Santiago, 1996; 2. Band, Adolf Hitler y la Gran Guerra, La Nueva Edad, Santiago, 1997; 3. Band, Misiön en los Transhimalaya, La Nueva Edad, Santiago, 1998; 4. Band, El Regreso, La Nueva Edad, Santiago, 1999.
3    Miguel Serrano: Adolf Hitler, el Ultimo Avatära, La Nueva Edad, Santiago, [1984], S. 24-27.
4    Der politisch-geschichtliche Hintergrund dieser Zeit und der Hintergrund des Movimiento Nacional Socialista in Chile findet sich dokumentiert in: Robert J. Alexander: The Tragedy of Chile, Greenwood Press, Westport, Conn., 1978.
5    Serrano, Adolf Hitler, S. 29-32, 35-50, 53.
6    Serrano, Adolf Hitler, S. 58-60, 61-65.
7    Serrano, Adolf Hitler, S. 76-79.
8    Serrano, Adolf Hitler, S. 107-8,111-18,124-25. Das geheime Hauptquartier des Ordens im Himalaja, genauer unter dem Berg Kailash, die aus 72 Brahmanen bestehende Führungsschicht und die auf 201 beschränkte Anzahl der Ordensmitglieder legt die Schlussfolgerung nahe, dass die Gesellschaft von Sant-Yves d?Alveydres Werk La Mission de l?Inde en Europe (1910) beeinflusst wurde.

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