Trojaburg
 
 

Guido von List: Die Sage vom heiligen Gral

Eine Studie von Guido von List

Man hat sich nur zu sehr daran gewöhnt, die Sage vom heiligen Gral als eine christliche Legende zu betrachten, welche von Chrestien de Troyes, Wolfram von Eschenbach und anderen bis auf Richard Wagner herauf vielfach bearbeitet wurde, so daß man darüber beinahe vergaß, den altmythischen Ursprung der Sage aufzusuchen, da die Evangelien und Schriften der Kirchenväter von der Gralssage so gut wie nichts wissen.

Die christliche Reliquienkunde kennt wohl einige Abendmahlsschüsseln, aber selbst an diese sind nur sehr lose einige Anklänge an die Gralssage geknüpft, so daß wohl angenommen werden kann, daß diese scheinbaren Gralserinnerungen späteren Ursprungs sind und ältere Erinnerungen an diese Schüsseln verdrängt hatten.
Die Gralssage in ihrer ältesten christlichen Fassung findet sich in der Chronik des im Jahre 1227 verstorbenen Cisterciensermönchs Heliand zum Jahre 720 wie folgt erwähnt:
?Um diese Zeit sah ein Eremit in Bethanien jene Schüssel des heiligen Joseph (von Arimathia), aus welcher der Herr mit seinen Jüngern gegessen hatte. Derselbe Eremit schrieb dann die Geschichte vom heiligen Gral. Lateinisch konnte ich sie mir nicht verschaffen; man sagte mir, sie sei nur in französischer Sprache abgefaßt, aber auch in dieser Abfassung vermochte ich die Schrift nirgends aufzufinden.?


Wenn nun auch der Cistercienser Helianand obige Mitteilung in das Jahr 720 verlegt, so war diese Sage als christliche Sage vor ihm doch noch nicht bekannt. Dies beweist Alberich de trois Fontaines, der um die Mitte des 13.Jhdts. schrieb, und von der smaragdenen Schale der Genueser berichtet, ohne derselben als der ?Abendmahlsschüssel? zu gedenken, trotzdem er sich in seinen Schriften auf Turpin und Marddin (Merlin) als Quellen beruft, welche später mit der Gralssage so innig verwoben wurden. Auch Wilhelm von Tours, der um 1174 schrieb, erwähnt nur dieser berühmten Schüssel wegen der Pracht und des Geheimnisses deren Materials, ohne ihrer als Reliquie zu gedenken, was er sicher nicht unterlassen hätte, wenn jene fragliche Schale damals schon für die berühmte Abendmahlsschüssel gegolten hätte.
Einer Überlieferung zu Folge war diese, lange Zeit für sehr kostbar gehaltene Schüssel vom Heer der Kreuzfahrer in Cäsarea aufgefunden, und bei der Beurteilung zu einem äußerst hohen Preis den Genuesern zuerkannt
Da zu Cäsarea, der Überlieferung gemäß, der Apostel Philippus ein Haus besessen haben soll, welches bei Eroberung der Stadt im Jahre 1101 auch den Siegern gezeigt wurde, ward der, also an heiliger Stelle gefundenen Schüssel ein? ganz besonderer Wert beigelegt. Die prunkliebenden Genueser, solchen Schatzes froh, weihten denselben der Capelle Johannes des Täufers in der Kathedralkirche St.Lorenz zu Genua, ohne zu ahnen, was folgende Zeiten für Sagen um dieses Prunkstück spinnen würden.
Spätere Romane aus dem Ende des 12. Jhdts. bringen dann die Gralssage bereits mit dem berühmten Zauberer Merlin und dem sagengewaltigen König Artus in Zusammenhang, worauf auch sofort die Genueser Schüssel zur Reliquie in diesem Sinne der Sage wird.

Der Sage nach war der Zauberer Merlin der Sohn eines Nachtgeistes (Incubus) und einer Nonne, einer ?reinen Jungfrau?. Als dieses Teufelskind zwölf Monate alt war, aber weit kräftiger sich entwickelt hatte als Knaben des doppelten Alters, geistig aber geradezu erschreckend wunderbar allen Kindern um Vieles voraus war, da suchte Meister Blasius, der Beichtiger von Merlins Mutter, des Rätsels Grund zu erforschen. Nachdem nun der fromme Einsiedel mit Staunen von jung Merlin vernommen, wie allerdings er vom Teufel den Leib und die Gabe erhalten habe, alles zu wissen was in der Gegenwart geschehe, alles zu hören, was überall gesprochen würde, wie er aber dagegen von Gott seine unsterbliche Seele empfangen habe, nebst der Begnadung die Kunde der Zukunft zu besitzen, da schwand dessen Besorgnis, denn der Mönch erkannte die Weisheit des Allmächtigen. Er befolgte aber das, was ihm Merlin zu tun gebot.
?Höre mich?, sprach da Jung-Merlin, ?und tue was ich dir sagen werde, Verfertige ein Buch, in welches du alles das einschreiben sollst, was ich dir künden will!

Als das Buch bereit lag, sagte er ihm das Geheimnis von der Freundschaft des Erlösers zu Joseph von Arimathia, wie auch von Adalam und de Perron und den anderen Gefährten allen, auch was sich mit diesen zugetragen bis an ihr Ende. Als Jesus gekreuzigt war, ging Joseph von Arimathia in das Haus Simons und fragte, wo Christus mit den Aposteln das Osterlamm gespeist. Dieser zeigte ihm den Ort auf der Höhe des Hauses. Dort fand Joseph noch die Schüssel, woraus der Herr mit den Jüngern das Abendmahl eingenommen. Hocherfreut nahm er sie mit nach Hause.
Von Pilatus erbat er sich hierauf den Leichnam Christi, nahm ihn vom Kreuz, legte, ihn in ein Felsengrab und fing das, bei der Beerdigung aus den Wunden des Heilandes strömende Blut in jener Schüssel auf. Aber die darob erzürnten Juden führten ihn in ein Gefängnis, fünf Stunden von Jerusalem entfernt, wo der Heiland ihm erschien, ihm die Schüssel mit dem Blute brachte, ihn mit der Kunde ermutigend, daß er nicht umkommen, sondern einst wieder her -vortreten und die Welt sehr verändert finden werde. Zweiundvierzig ?Jahre lang blieb Joseph in diesem Kerker, ohne andere Hilfe als die der heiligen Schüssel, deren Kraft ihn erhielt und ihm wunderbar das Leben fristete.
Da kamen Titus und Vespasianus mit einem Heere, um Christ Tod zu rächen. Es erschienen vor Titus Josephs Frau und Sohn und beklagten das Schicksal ihres Gatten und Vaters, von dem sie nun schon seit zweiundvierzig Jahren nichts mehr gehört hatten. Titus drohte den Juden, worauf ihn Kaiphas in Josephs Gefängnis führte.
In diesen unterirdischen Kerker ließ sich Titus an einem Seil hinab und fand das Verließ mit unsagbarer Klarheit erfüllt. Er kündigte sich dem Gefangenen als seinen Befreier an und erhob ihn aus dem Kerker. In der Nacht vor Titus Abreise nach Rom trat Jesus an Josephs Bett und befahl ihm Titus zu taufen und die Schüssel mit sich zu nehmen, die für alle seine Bedürfnisse sorgen werde.
Darauf taufte Joseph den Titus und alle seine Offiziere heimlich im Euphrat, denn Vespasian sollte nichts davon erfahren. Unfern von Bethanien befahl dem Joseph eine himmlische Erscheinung, für den heiligen Gral - wie nun die Schüssel genannt wurde - eine kleine Kiste machen zu lassen und ihn darin zu bewahren, welche er jeden Tag öffnen durfte, denn nur ihm und seinem Sohne war die Berührung erlaubt. Joseph und seine Begleiter wurden auf ihrer Reise wunderbar durch die Kraft des heiligen Grales ernährt, ohne daß sie mit Mundvorrat sich zu versehen brauchten.
Nach langen Wanderungen durch die Länder vieler heidnischer Könige, die durch Wunder zu Christo bekehrt wurden, durchzogen die Sendboten des göttlichen Wortes Britannien, und immer größer ward die Schar der Bekehrten und Diener des heiligen Grals.

Sobald nun diese, vor 1150 überhaupt noch nicht bekannte Sage sich immer mehr verbreitete, führten begreiflicherweise die Genueser das lebhafteste Verlangen, ihr Prunkgefäß, das angeblich aus einem riesigen Smaragd geschnitten sein soll, als jenen heiligen Gral anerkannt zu wissen.
Jetzt genügte der Wundersucht die in vorerzählter Legende niedergelegte einfache Sage von der Abendmahlsschüssel nicht mehr; das prächtige Genueser Gefäß sollte noch größeren Ruhm erlangen.
Bald hatte man es heraus, daß jene Smaragd Schüssel einst von der Königin von Saba dem König Salomo geschenkt worden. Von diesem kam sie an Herodes und von dem an Nikodemus, bei dem sich ihrer der Heiland bediente -
Im übrigen sei bemerkt, daß der als Raritätensammler so berüchtigte Napoleon I. sich auch lebhaft für die Genueser Smaragdschüssel interessierte, und eigens eine Prüfungskommission einsetzte, um deren Echtheit zu erproben. Nachdem diese Kommission aber fand, daß die Schüssel nur aus einem orientalischen, in Konstantinopel erzeugten Glasfluß bestünde, ließ Napoleon I. großmütig, wie er schon sein konnte, den Genuesern ihr kostbares Pretiosum.

Obwohl von der Gralssage vor dem Jahre 1150 weder in französischen noch in britischen Werken sich eine Spur befindet, so weist dennoch die Sage auf den Zauberer Merlin zurück, wodurch dieser, und in notwendiger Folgerung auch König Artus in die Gralssage verwoben werden mußte. Dieser Umstand aber bildet die Brücke, den heidnischen Ursprung der Gralssage aufzufinden.
Der als Zauberer verrufene Merlin, der mit seinem wahren Namen eigentlich Merddin Enrys hieß, war Barde des Walisischen Königs Wloding Emrys zu Ausgang des 5. Jhdts. und Hauptbegründer des ?Barden-Ordens vom Kessel der Ceridwen?.
Als Bertinger den britischen Staat ins Verderben stürzte, zerstörte Germanus, Sohn des Ridicus, den alten Glauben in Wales und Irland. Merddin Emrys sammelte nun mit Hilfe von Merddin Silvestris und Talisien die Trümmer des zersprengten Druidenkultes, vereinigte diese in dem ?Barden-Orden vom Kessel der Ceridwen? und rettete so noch im letzten Augenblick die keltisch druidische Weltanschauung vor dem gänzlichen Untergang. Der Walisische (wälische) Bardenorden trat dadurch an die Stelle des alten Druidenordens, der in die Christ liehen Mönchsorden aufging, sich sozusagen in eine christliche Priesterschaft auflöste. Der Name Druide, besser gesagt die Bedeutung desselben, ging in der Erinnerung der Briten unter, und erhielt durch die christl. Geistlichkeit den Sinn von Magier und Zauberer, was umso leichter sich vollzog, als mystische Handlungen und Formen dem Volke gegenüber die Geheimlehre der Druiden (Priester) verborgen hatten.
Vollständig konnte aber selbst Merddin das Druidentum nicht mehr herstellen, denn es war mit römischer Bildung und Christentum zu sehr durchsetzt, um in alter Reinheit im neuen Bardenorden wieder aufzublühen. Nichts destoweniger aber ward Marddins Gründung von Marddin Silvestris und Talisien so tatkräftig unterstützt und gefördert, daß alle folgenden Barden, bis zum Untergange des wälischen Staates, auf jene drei als auf die Hauptbarden des Landes zurückweisen, ja selbst die Ritter- und Minnepoesie des britischen Mittelalters auf jene Bardenschule als auf ihre Vorstufe mit pietätvoller Liebe zurückblickte.
Es ist nun zum mindesten sehr begreiflich, daß Merddin der Barde, als natürlicher Gegner der Mönche, von diesen arg geschmäht und selbstverständlich für einen gar bösen Zauberer verrufen wurde. Ebenso seine Genossen. Aber das Volk hing so fest an ihm und den anderen Sagenhelden, und da mußten die Mönche allmählich von ihrer Verfolgung abstehen, und nach und nach die Gemüter dadurch versöhnen, daß sie die einen oder anderen zu christlichen Heiligen umwandelten, um so des sichtlich abblassenden Heidentums vollständig Herr zu werden.
Später wurden jene Barden selber Christen und fanden dadurch begreiflicherweise auch die altheidnischen Bardenlieder christliche Bedeutung, oft auch christliche Umdichtung.
Was denn früher der Kessel der Ceridwen war, der doch dem Bardenorden Merlins den Namen gegeben, das konnte nun leicht als der heilige Gral gelten. Allerdings durfte anfänglich die Umnennung dieses mystischen Gefäßes mehr eine apokalyptisch-mystische Verhüllung der eigentlichen Geheimlehre gewesen sein, da es gefährlich wurde, sich offen zum Druidismus zu bekennen; bald aber, bei dein Fortschritte, den die neue Lehre zu verzeichnen? hatte, ward auch der Sinn dieser Mysterien vergessen, so zwar, daß sich Brauchtum und Sprache des Bardentums nunmehr als leere Zunftzeremonien, als leeres Formenwesen fortpflanzte, und seelenlos, mißverstanden weiter wucherten.
Wenn nun spätere Sagen den Merlin (Merddin) vom heiligen Gral und von Joseph von Arimathia als von dessen angeblichem Überbringer nach Britannien erzählen lassen, so ist solches nur daraus erklärbar, weil der im Verlaufe der Jahrhunderte christlich gewordene Bardenorden den heiligen Gral anstelle vom Ceridwen-Kessel des vordem noch druidisch-heidnischen Barden-Ordens gesetzt hatte.
Dieser Kessel der Ceridwen aber bildete den Mittelpunkt der Mysterien im nun untergegangenen druidischen Heidentum, wie schon daraus er hellt, daß der Barden-Orden nach eben diesem Kessel genannt worden war.          
Ist nun hier die Rückverwandlung des heiligen Grals in den Kessel der Ceridwen gelungen, so ist weiter die Frage zu erörtern, was es denn eigentlich mit diesem geheimnisvollen Kessel für eine besondere Bewandtnis hat.    

Die Göttin ?Ceridwen? war dem keltischen Druidentum die höchste weibliche Personifikation der allernährenden Natur, der das männliche Naturprinzip ?Hu? gegenüberstand. Naturgemäß war Ceridwen, gleich der germanischen ?Freya?, gleich der griechischen ?Demeter? und der römischen ?Ceres?,die oberste Zauberkennerin und ihr Kessel daher ihr Zauberkessel, .der später, zum Hexenkessel in der Hexenküche her absank.
Um aber die volle Bedeutung jenes Zauberkessels, wie jene seiner Mysterien erfassen zu können, sei vorerst des männlichen Naturprinzips ?Hu? eingehender gedacht, und dem überhaupt vorausgeschickt, daß in der keltischen .Mythologie nicht das Licht, nicht der Sonnendienst an der Spitze des Kultes stand, sondern die Idee des Wassers, in ihren Beziehungen zum Monde, die vorherrschende war. ?Hu? hatte mit seinen drei Buckelochsen den Avanze (Biber) aus der großen Flut hervorgezogen, wodurch die Überschwemmung der Erde ihr Ende fand.
Dieses furchtbare, aber von Nevydd Neivion, d.h. vom himmlischen Herrn vorausgesehene Ereignis verschuldete der Ausbruch des Sees von Ilion, der damals die Welt überflutete, und alles Leben, alle Menschen ertränkte bis auf den Dwywan und die Dwywach, welche beide in einem segellosen Schiff entkamen und Britannien aufs Neue bevölkerten. Dieses Schiff ward in weiser Vorsicht von dem obengenannten Nevydd und Nev Neivion, also vom Herrn des Himmels selber erbaut, und war bestimmt, je ein paar von jeder Tiergattung in sich aufzunehmen; wenn der See Lilion ausbrechen sollte.?
Dies ist die, sich bei allen Völkern, in allen Götterlehren sich . wiederholende Flutsage, welche der biblischen Sage ebenso ähnlich, ebenso unähnlich ist, wie jede andere. Die Sonderkennzeichnung dieser Flutsage sind die drei Buckelochsen (der gelbe, der rote und der schwarze) und der Biber.
Das Wasser ist der Anfang aller Dinge, nach einer gemeingültigen mythischen Regel. Der Biber, dessen Leib der Erde,, dessen Schwanz jedoch dem Wasser angehört, ist ein passendes Bild für die aus dem Wasser tauchende, aber immerhin noch nicht völlig trockene Erde. Darum nahm die Flut erst ab, nachdem Hu den Ävanz mit seinen drei mystischen Buckelochsen aus dem Wasser gezogen hatte; Dadurch hatte Hu die Natur der Schöpfungsstoffe in festes und flüssiges gesondert; die Erde steigt eben im Frühjahr, im Stiermonat April aus der Flut um zu grünen und zu blühen.
Diese Lebenskraft aber ward der Erde von Hu, nämlich von Gott gegeben. Der weltschaffende Urstier ist der Schöpfer des Lenzes, und ward von seinem Herrn zur Jahresordnung gesetzt; er zieht den Pflug wie den Biber und bringt dadurch Heil und Segen nun auch aus der Erde, wie vordem aus dem Wasser ?hervor.

Die von Hu erzielte Ordnung in der Welt ist die Harmonie der Sphären das himmlische Seitenspiel; darum ist auch Hu als Erfinder des Gesanges wie der Harfe, als Sinnbild des Einklanges der Welt, eine unentbehrliche Handlung der äußeren Gottesverehrung im Druidismus gewesen.
Das Schiff ist im mystischen Sinne der vom Wasser umgebene Embryo im Mutterschoß. Dwywan und Dwywach sind Vater und Mutter der Menschheit. In Merioneth entspringt der Fluß ?Dee? aus zwei Quellen, die sich vereinigen und den See ?Topio? durchlaufen, ohne von seinem Wasser aufzunehmen. Diese beiden Quellen heißen merkwürdigerweise gleichfalls wie das erste Menschenpaar Dwywan und Dwywach. Der See ?Tepio? ist also das mikrokosmische Bild der Flut, durch welche unversehrt der Strom des Lebens fließt, wie das Schiff der ersten Menschen. Darum die Heilighaltung des ?Dee?, daher sein Beiname ?göttliches Wasser?, ?Wasser des Lebens?, ?Wasser der Kraft?. Das segellose Schiff hieß ?Caer?, was so viel wie beschützte Entschließung, im engeren Sinne Insel bedeutet; auch Merddin ward der Sage nach in Oaer-Merddin geboren.
Die Druidensitze auf Inseln waren somit Nachahmungen jenes ersten Schiffes ?Caer?, des Weltschiffes, welches im Druidismus die gleiche Rolle spielt wie die Weltesche im Wuotanskulte. Darum galten die schwimmenden Inseln im See Dwyarchen, auf dem Sowden in Wales für ganz besondere heilige Orte, weil sie mikrokosmisch in Bezug auf die Geburt der Erde aus dem Wasser den Embryo des werdenden Festlandes vorstellen, das mit dem Abfluß der Gewässer geboren wird.
In weiterer Konsequenz dieser mythischen Anschauung mußten Berge, namentlich Felsen, als die älteste Form der gewordenen, aus der See emporgestiegenen Erde, religiöse Bedeutung gewinnen, daher der keltische Felsendienst neben der Wasserverehrung.
Aber auch Hu stirbt; er lebt mit den Pflanzen, und stirbt den Blumentod. Doch nicht die Vernichtung ist dieser Tod, denn er lebt in der Unterwelt fort als Totenrichter, um im nächsten Frühling wiederzukehren. Sein Grab aber ist auf der heiligen Insel Mona, in welchem die Verwandlung vor sich geht. Darum gräbt der Mensch dein Menschen ein Grab und legt den Toten als Samen für die Ewigkeit hinein.
Zahlreich sind diese mystischen Bilder der Bardenpoesie, welche dann in den Mysterien erst in Bezug auf die Wasser- und Zeugungslehre Bedeutung gewinnen, und namentlich im Hauptsymbol des Keltentums, im Kessel der Ceridwen ihren Gipfelpunkt finden.
Aber auch die Buckelochsen des Hu, der gelbe Frühlingsstier, der braune des Sommers und der gescheckte (oder schwarze) des Winters oder des Todes mit dem Halsbande von 147 Knöpfen sind unvergessen und in zahllosen Inselnamen heute noch erhalten. Die Zahl. 147 ist ein Seitenstück zu den 147 Apfelbäumen auf der Apfelinsel ?Affalenau? (Avallon), dem heutigen Glastonbury (Glasberg) in Sommerset, auf welcher von der ältesten christl. Ansiedlung Englands noch heute die malerischen Trümmer der Abtei ?Glasbury? Kunde geben. Mit demselben Schiffe, mit dem die ersten Menschen gerettet worden, fährt Hu nach dem Lande der Seligen, der Insel Mona, auch der Insel Avallon. Das Weltschiff wird hier zum Sarge, wie es vordem Wiege war, es bedeutet Anfang und Ende, und ist nichts anderes als das weibliche Prinzip der Schöpfung, deren Personifikation die Göttin Ceridwen ist. Darum ist wieder dieses Weltschiff, das Wiege und Sarg der Menschheit bedeutet, nichts anderes als Ceridwens Zauberkessel - nichts anderes als der scheinbar verchristlichte Gral.

Das Weltschiff, das als Seelenschiff durch den Tierkreis fährt, ist als Totenschiff die Erde selbst, die das Samenkorn vor der Verwesung rettet; ist das Grab, das durch Wiedergeburt den Menschen aus den Banden des Todes befreit: ist der Winter, der alle ersterbenden Erdkräfte zum Wiederleben vorbereitet ; ist der Kessel der Ceridwen, denn:
?Die Du Kinder und Früchte erzeugst im Überfluß, hehre Göttin, Dein allein ist das Recht, das Leben zu geben und zu nehmen!? Ist nun Ceridwens Kessel Wiege und Grab der Erde, ist er das Sinnbild des siegreichen Lebens gegenüber dem Tode, so mußte gerade dieses Hauptsymbol des Keltenglaubens es sein, das in ein ?Taufbecken? und in eine ?Abendmahlsschüssel? als ?heiliges Grab? verwandelte, zum Träger der christlichen Idee werden mußte, um den Wandel vom Heidentum zum Christentum einzuleiten.
Daß mit der Umbildung des heidnischen Symboles (Kessel der Ceridwen), in ein christliches (heiliger Gral) die Umdichtung der heidnischen Mythe in die christliche legende Hand in Hand gehen mußte, ist wohl selbstverständlich.
Es wurde schon gesagt-, daß in der Sage der Barde Merddin in den Zauberer Merlin unter christlichem Einfluß sich wandelte, und die Sage will wissen, daß eben dieser Merlin Artus bewog, die später so berühmte Tafelrunde zu gründen.
Nun ist aber zu bemerken, daß Hu in einem seiner vielen Namen als Herr der Unterwelt, auch das ?wundervolle Drachenhaupt?, nämlich ?Uthyr Pen Dragon? genannt wird, wie der Vater des mythischen Königs Artus heißt.
Bei näherer Betrachtung des Königs Artus ergibt sich jedoch, daß er mit dem sommerlichen Hu sich deckt, somit Pendragon und Artus nichts anderes sind, als die winterliche und sommerliche Umgestaltung Hus, in vorchristlicher, also menschlich abgeschwächter Gestalt. Die Sage von der Tafelrunde hebt also an:
?Der Zauberer Merlin sprach eines Tages zu König Artus Vater, dem Könige Uthyr Pendragon:
?Joseph von Arimatha kaufte Christi Leichnam von Pilatus, begrub ihn und ging nach Christi Auferstehung mit seiner Familie und vielen anderen Menschen in eine Wüste wo sie viel Hunger ausstanden, so daß ihrer viele starben. Da befahl ihm Christus eine Tafel zu machen, ähnlich derjenigen, an welcher er mit den Aposteln das Abendmahl genoß. Diese Tafel sollte er wohl ausschmücken und mit weißen feinen Tüchern bedecken; darauf sollte er einen goldenen Kelch stellen, den er ihm: selber sandte, und ihm einschärfte, dies Gefäß wohl zu bedecken und in Acht zu nehmen. ?Wisse ferner mein König? setzte Merlin hinzu, ?daß dieser Kelch, von Gott gesandt, die Gemeinschaft der Guten und Bösen bedeutet.?
Die Guten aber, welche an dieser Tafel zugelassen wurden, erhielten die Erfüllung aller ihrer Wünsche. Ein Platz blieb immer leer an dieser Tafel, das bedeutet den Verräter Judas, der sich mit den Aposteln zum Abendmahl setzte. Und als der Heiland sagte:
?Der mit der Hand mit mir in die Schüssel taucht, der wird mich verraten?, stand Judas von der Tafel auf, schämte sich und ging hinaus. Und die Stelle an der Tafel blieb leer, bis Christus den Mathias hinsetzen ließ. So mußte auch der Platz an Josephs von Arimatha Tafel leer bleiben. Die Tafel ward von allen, welche dazu gelassen wurden, sehr in Ehren gehalten. Nach ihr ward noch eine ähnliche .Tafel errichtet; willst Du mir also folgen mein König, so errichte du die dritte, im Namen der heiligen Dreifaltigkeit. Jenes Gesetz und seine Hüter sind gegen den Orient hingezogen und wissen die Hüter jetzt selbst nicht mehr, wo es eigentlich hingeraten, sie sind ihm nur in. jene Gegenden nachgezogen.? Uthyr Pendragon tat nach dem Rate Merlins, er wählte an einem Pfingstfest zwölf Ritter zu Hütern jener von ihr gestifteten Tafelrunde. Die Namen dieser zwölf Ritter aber sind: Cavadoc Amoral von Wales , Hector des Mares, Lancelott vom See, Dinadein, Baort, Driam, Bliombrris, Gäearo, Twain, Gabereit, Gawein und Parceval.
Diese berühmte Tafelrunde, welche später von König Artus erneuert und zu besonderem Glänze gebracht wurde, ward zum Schutze und zur Pflege des heiligen Gral zu Carduel (Carlisle) gestiftet, und noch zu Königin Mariens Zeiten ward eine runde Steinplatte als die ? Tabula Rotunda?, als das angebliche Wahrzeichen jener Ritterschaft des heiligen Grals auf Schloß Huntscost gezeigt.
Es ist beinahe selbstverständlich, daß es in den vereinigten Königreichen nicht bei dieser einzigen Tafelrunde blieb, vielmehr daß sich sehr bald Nachahmungen bemerkbar machten.    
Aber auch hier ging es nicht besser wie in so vielen anderen Fällen, die Nachahmungen hatten lediglich die Form im .Auge, während der Geist entflohen war. Schon Uthyr Pendragons Gründung weist darauf hin, daß die Tafelrunde den ?heiligen Gral? faktisch nicht besessen hatte, denn er war ja nach dem Oriente hingezogen, ohne daß dessen Hüter es selber gewußt hätten, wo er sich befand. Er galt aber als unsichtbares Symbol der Gesellschaft, was eben auf ein Mysterium deutet. Dies beweisen auch die zwölf Ritter, welche sich ?in der Runde? um König Artus versammelten. Diese Zahl spielt auf die zwölf Sternbilder des Tierkreises an, welche den Polarstern (Arctus) umringen, und durch welche das Weltschiff (der Kessel der Ceridwen, der heilige Gral) fährt.
Diese Mystik war vergessen, als die späteren Tafelrunden gegründet wurden. So stiftete Graf Robert Mortimer auf Schloß Kenihworth eine Tafelrunde für hundert Ritter; in den Mauern des alten Schlosses Winchester zeigt man noch eine Steintafel von König Eduard III. Tafelrunde, und derselbe König soll eine ähnliche Ritterschaft für vierundzwanzig Ritter im Schlosse zu Windsor gegründet haben. Andere Tafelrunden sollen sogar bis auf eine Mitgliederzahl von einhundert-fünzig Ritter gestiegen sein.
Aus diesen Zahlenangaben allein erhellt zur Genüge, daß jene Tafelrunden nicht mehr ernst zu nehmen sind, sondern lediglich eine, welche von Uthyr Pendragon begründet und von Artus berühmt gemacht worden war.
Diese ?Tafelrunde des heiligen Grals? trat zu dem ?Bardenorden vom Kessel der Ceridwen? in dasselbe Verhältnis, wie dieser letztere zum alten ?Druidenorden?. Es sind hier drei Stufen zu bemerken, und zwar ist die ?Gralsritterschaft? die verchristlichte ?Bardenschaft? welch letztere anfänglich dem ?Neudruidismus? huldigend, später, zwar verchristlicht? dennoch den ?neudruidischen Mysterien? anhing; die dritte Stufe war der alte ?Druidenorden? mit seiner unverfälschten druidischen Religion.
Daher ist auch bei König Artus, wie bei Merlin die Doppelgestalt wahrnehmbar. Wie Merlin in den sagenhaften Zauberer Merlin und den historischen Barden Merddin sich spaltete, so teilt sich der Mittelpunkt der Gralssage. König Artus, in den mythischen König Artus und den historischen König Artur. Der historische Artur kann wegen seiner Unbedeutendheit füglich übergangen werden, während der mythische Artus durch ganz besonderes Zusammenwirken von merkwürdigen Umständen nicht allein sagen- und sangesberühmt geworden ist, sondern einerseits bis zur Göttlichkeit erhoben, andererseits zum christlichen Heiligen - als heiliger Arthur - umgestaltet wurde. Dies ging so zu:
Artus war das Haupt des Ceridwen`schen Kesselordens. Als dessen Repräsentant genoß er unter den Barden, als den Verfechtern des ?Neudruidenordens?, wie unter dem Volke als Nationalheld die größte Popularität. Je mehr die - meist fremdländische, christliche Priesterschaft gegen den Nationalismus Stellung nahm, desto ?höher wuchs Artus eben als Nationalheros empor.
Jede der Parteien, auch die ?christliche, suchte sich nun diese Haupthelden, wie seiner Nebengestalten zu bemächtigen, um sie mit einem Strahlenkranze des Ruhmes zu umgeben, der in ihrem Sinne auf das Volk wirken konnte, um dieses in ihr Lager zu ziehen.
Wie die Neudruiden des Kesselordens aus dem König Arthur den mythischen König Artus gestalteten, der als Sohn des Hu und der Ceridwen selber zum Gott wurde, wie die Neudruiden, so aus dem irdischen König einen vermenschlichten Gott schufen, so wandelten die christlichen Mönche eben denselben König Arthur zu einem christl. Heiligen und der Oberpriester der neudruidischen Kesselmysterien ward zum Hüter des christl. Heilssymbols des heiligen Grales und dadurch mittelbar und selbstverständlich zum heiligen Arthur. Mit der in allen Fällen und Lagen, welche die Geschichte kennt, wahrhaft imponierenden Konsequenz, verfolgte auch in Britannien die römische Kirche ihr Bekehrungswerk zum Christentum, ihre Bekämpfung alles Nationalen und Nichtchristlichen - des Heidentums wie sie eben so konsequent jede andere Religion nannte und noch nennt. Notwendig war die Folge dieser Konsequenz, daß die Kirche, die sich einmal des Königs Artus bemächtigt hatte, auch alles Übrige in ihren Bereich zu ziehen suchte, was mit dem Druidismus in Berührung stand, um diesem allen Boden zu entziehen.
Dort, wo Druidensitze (mystisch gesprochen: Adlernester) bestanden, erhoben sich bald Klöster, Kirchen oder mindestens Kapellen mit Einsiedlern, und bald war die Legendenbildung in vollem Zuge, welche jene Stätten mit Gespenstern, Teufeln und Heiligen bevölkert sein läßt, wo nun Zauber und Wunder in erbittertem Kampfe sich befehden. So gingen die heiligen Inseln in den Besitz der Kirche über, und, um nur wenige namhaft zu machen, sei der heiligen Apfelinsel Merlins gedacht, wo er ?2 mal 70 und 7 Apfelbäume besessen, alle aneinander gleich an Höhe, Umfang und Gestalt,? der Insel Mone und des Druidensitzes ?Banger?. Die heilige Apfelinsel ?Affalenau?, ?Avalion», ist das heutige ?Glastonbury? (Glasberg) mit seinen interessanten Ruinen der Abtei gleichen Namens, der ersten christlichen Siedlung. Glastonbury ist der Ort, der das Grab des Königs Artus enthalten soll, wie auch das Grab Merlin?s, wo dieser im ?gläsernen Hause? (man denke an Schneewittchens gläsernen Sarg) schläft. Glastonbury bedeutet auch ?Glasburg?. Das Kloster ?Bangor? deutet durch seinen Namen ?großer Kreis? schon auf einen alten Druidensitz. Und diese Beispiele ließen sich bedeutend vermehren. Ja, selbst die Bezeichnungen der Grade der druidischen Mysterien wurden von der Kirche adoptiert. So versichert Bischof Ängus, daß Irland vierunddreißig Heilige namens ?Mochume? und achtundfünzig Heilige ?Mochuan? zählt. Moch (Schwin) war aber der mystische Name eines Eingeweihten, Beinamen der Götter (z.B.Col-St.Collen), Könige, Helden und Barden suchte die Legende auf christliches Gebiet herüberzuziehen, schiebt ihnen christliche Heldentaten, gottgeweihtes Leben und zahlreiche Wunder unter, versetzt sie unter die Zahl der Heiligen und weiht ihnen Klöster und Kirchen, um das Volk dem Christentum zu gewinnen.

So wie nun Artus zum heiligen Arthur, Coll zum heiligen Collen, wie die Adlernester zu Klöstern geworden sind, so wurde auch das Hauptsymbol, der unsichtbare Kessel der Ceridwen zum christlichen Heilszeichen, zum heiligen Gral, der ebenfalls unsichtbar gedacht wurde, da selbst dessen Hüter nicht wußten, wohin er gekommen. Erst spätere Sagen lassen ihn den Gralshelden durch den Bischof Joseph von Sarras, den Sohn Josephs von Arimathia, wieder überbringen.
Doch hiermit tritt die Gralssage in das Gebiet der Dichtung und des Romans und somit aus dem Rahmen dieser Betrachtung, welche nur zeigen wollte, aus welchem Mythenkreis sie in den Bereich der christlichen Sage getreten.


II.
Das Weltschiff, das als Totenschiff durch den Tierkreis fährt, ist die Erde selbst, die das Samenkorn von der Verwesung rettet; ist das Grab, das durch Wiedergeburt den Menschen aus den Banden des Todes befreit; ist der Mutterschoß, der das Geschlecht vor dem Untergange rettet; ist der Winter, der alle aussterbenden Erdkräfte zum Wiederleben vorbereitet; ist der Kessel der Ceridwen, denn:
?Die Du Kinder und Fruchte erzeugest im Überfluß hehre Göttin, Dein allein ist das Recht, das Leben zu geben und zu nehmen!?
Ceridwens Kessel ist ?Wiege und Grab? der Erde, der Erdgeborenen; er ist das hehre Sinnbild des siegreichen Lebens gegenüber dem Tode, und darum mußte gerade dieses Hauptsymbol des Druidentums in den ?heiligen Gral? verwandelt werden, der der Träger der christlichen Idee jener Zeit war, in welcher das Christentum den Druidismus in den Keltenländern besiegte. Darum mußte dies druidische Symbolen zum christlichen werden als heiliger Gral, gleichzeitig als ?Taufbecken? wie als ?Abendmahlsschüssel?, Anfang und Ende in sich mystisch vereinend.     
Als ?Abendmahlsschüssel?, ja; aber ?auch als Taufbecken? ? - Jawohl auch als ?Taufbecken?, zur ?Bluttaufe? !
Erst in dieser Auffassung wird die Gralssage verständlich, da sonst die blutige Lanze, und alle jene Ceremonien, welche Parceval auf der Burg Montsalvatsch mit staunendem Schweigen beobachtete, sinnlos und unerklärlich blieben.    
Den Schlüssel zur Enträtselung dieser, mystisch verhüllten Ceremonien liefert die alt-christliche Mysterienkunde.
Bei allen Völkern des Altertums, mithin, auch bei allen Religionen, bildete der Glaube an die stellvertretende Sühnkraft des Opfertodes zur Aufhebung fremder Schuld, zur Besänftigung der zürnenden Gottheit ein festbegründetes Dogma, welches von dem Christentum, als es den alten Götterkult verdrängte, aus den Lehrmeinungen des Heidentums ebenso aufgenommen wurde wie so manch anderer Glaubenssatze. Ja, das Christentum konnte sich der Anerkennung solcher Opfermysterien schon darum nicht entsagen, als es selbst auf der Opferung des Gottessohnes für die Sünden der Welt aufgebaut erscheint.
Aber nicht das Christentum allein, sondern auch alle anderen monotheistischen Religionen erkennen das Verdienstliche des Opfertodes an. So singt in einem Trauerspiele, das alljährlich am Gedächtnistage des ?Märtyrers Ali? in Persien aufgeführt wurde, der sterbende Held Ali, ein Eidam des Propheten wörtlich:
?Engel des Todes! Ich beschwöre dich im Namen des Herrn, erschöpfe in mir in dieser Stunde alle Leiden, die mein Volk zu erdulden hätte. Verschone mich nicht, aber Gnade meiner Volke! Unter dieser Bedingung ermächtige ich Dich, meine Seele mir zu entreißen und mich den brennendsten Schmerz erdulden zu lassen. ?
Ganz ähnlich bietet sich Moses (II. Mos. 32,32) für den Abfall Israels dem Jehova als stellvertretendes Sühnopfer an, und die Rabbiner des frühen Mittelalters beweisen die Heilkraft des Opfertodes eines Frommen aus PS. 116, 15::
?Der Tod der Heiligen ist wertgehalten vor dem Herrn?. Auch Jesaias 53,5 bot dazu einen Stützpunkt, aus dem sie folgerten, daß Gott einen Gerechten schlägt, wenn er die Menschheit heilen will, und um jenes Frommen willen Anderen geholfen würde. Ja, noch mehr, der natürliche Tod des Hohepriesters galt als Sühne für das ganze Land, und der unfreiwillige Mörder ging straflos aus.? (IV.Mos. 36, 25-28)
Umso größere Wirkung versprach man sich von dem freiwilligen Opfertod eines durch Keuchheit und Heiligkeit sich auszeichnenden Mannes, einer reinen Jungfrau, eines ?unschuldigen? Kindes. Keine Religion, kein Volk, ist frei von dieser Vorstellung geblieben; das beweist der Molochdienst und die Saturnalien, der griechische Tribut von Jünglingen und Jungfrauen an den kretischen Minotaurus, die Mythen der Andromeda, der dem Drachen geweihten Königstochter am Drachenfels am Rhein, Wuotans Selbstopfer und viele, viele andere mythische und historische Beispiele.
Auch die altchristlichen Mysterien sind nicht frei von Menschenopfern bis ins Mittelalter hinein, in welchem endlich eine humanere Anschauung diese geheimnisvollen Opferungen unterdrücken mußte. Zahlreiche Volkssagen wissen davon zu melden, viele Reliquien sprechen noch heute davon; da aber diese Opferungen zu den Mysterien gehörten, welchen nur die Eingeweihten anwohnen durften, so drang davon nur unsichere Kunde unter das Volk, weshalb die Sagen, die von solchen Mysterien berichten, sehr märchenhaft klingen, aber dennoch unschwer erkennbar und deutbar sind.        
Von dem Opfertode Christi ausgehend, ist es eine Lehrmeinung der Kirche, daß auch im gleichen Sinne die Verdienste der Märtyrer durch ihren Opfertod zur Sühnung der Schuld der Menschheit, den Heilsschatz der Gemeinschaft der Gläubigen um ein Bedeutendes vermehrt hatten.
Diese Ansicht trieb nun viele Schwärmer der ersten christlichen Jahrhunderte nicht nur dazu, die römischen Behörden zu Todesverurteilungen förmlich zu provozieren, sondern zu raffiniertesten Selbstquälereien, zu fanatischen Selbstmorden im Sinne von Selbstopfern und schließlich zu freiwilligen Opfertoden in den altchristlichen Mysterien. Dort, wo sich freiwillig kein Opfer den christlichen Mystagogen bot, dort suchten diese solche durch Kauf, List oder Gewalt zu erlangen. Stellen der Schrift, wie Rom. 12, 1,2; Tomot.4,6; Coloss.1 ,24, Philipp. 2,17 sollen die Heilsmeinung bestärkt haben. Ignatius sagt in einem Brief an die Römer: ?Ich bin ein Weizen Gottes und muß unter den Zähnen der wilden Tiere gemahlen werden, damit ich als ein reines Brot Christi erfunden werde. Fliehet für mich zu Christus, daß ich durch diese Werkzeuge als Opfer erfunden werde.? Origenes schreibt in ?In Levitic. homil. 2?:
?Für die Juden bluteten Schafe, Böcke, Stiere, für uns ist der Sohn Gottes geschlachtet.? Diese Einschränkung des Opfers könnte in Verzweiflung führen, doch sind im Christentum noch mehrere Mittel der Sündentilgung, z.B. die Erduldung des Märtyrertums. Und in seinem ?Contra Gels. I. § 31? sagt Origenes: ?Der freiwillige Tod eines Menschen ist ein Mittel, Unglücksfälle, Landplagen, Pest, Unfruchtbarkeit ?u.dgl. abzuwenden.?
Diesen Lehren entsprechend, um nur zwei Beispiele zu erwähnen, erbot sich nach der Legende der heilige Cyracus freiwillig zum Märtyrertod für seine Brüder, und soll auch der heilige Guntram, König von Burgund, sich für sein Volk geopfert haben, das von Pest und Hunger heimgesucht war.
Aber schon das Myterium der Messe, wenn auch im heutigen Verstande nur sinnbildlich, scheint auf ein Opfer, und zwar auf ein Opfermahl hinzudeuten. Dies wird noch deutlicher durch eine Stelle des französischen ?Roman du St.Graal?. ?Derselben zufolge befanden sich einst Galaad (Galcard), Boort (Baort); Perceval und noch zehn Ritter auf dem Schlosse von Corbenic. Plötzlich, es war zur Vesperzeit, verhüllte undurchdringliche Finsternis das Gemach, Blitze durchflammten das Haus und mächtiger Donner erschütterte es in den Grundfesten. Die zehn Ritter flohen angsterfüllt aus dem Hause, nur die drei Genannten bezwangen ihre Furcht und harrten, um in Demut zu erwarten, was Wunder der Herr ihnen zu schauen gönnen würde. Da schwebte vom himmlischen Licht umflossen, ein Mann in bischöflichem Ornate herab; das Haupt mit der Mitra bedeckt, in der Hand den bischöflichen Hirtenstab. Vier Engel (Mönche) begleiteten ihn und eine feuerflammende Schrift ob seinem Haupte verkündete dieses:
?Das ist Joseph (Josephs von Armathia Sohn), der erste Bischof der Christenheit, welchen der Herr in der Stadt Sarras selbst zu dieser Würde erhoben.?
Über dem niederschwebenden Bischof aber zeigte sich in himmlischer Verklärung die Gestalt des Heilandes am Kreuze. Zwei Engel (Mönche) hielten brennende Fackeln in den Händen, während ein dritter den heiligen Gral, bedeckt mit einem rotsamtenen Tuche, trug und ein vierter die stark blutende Lanze des Longinus in den Händen hielt. Joseph hob nun die blutfarbene Decke von der Schüssel, nachdem diese vor ihn auf eine Tafel (Altar) gestellt ward und man das Blut von der Lanze hatte hineinträufeln lassen.
Nun entnahm der Bischof dem heiligen Gral ein Brot, segnete dieses und den Wein, den ein goldener Becher enthielt. Alsbald sieht er, wie sich das Brot in ein Knäblein verwandelte, der Wein aber in noch warm sprudelndes Blut. Er tötete das Kind und zerteilte es in drei Stücke. Als er anbetend in die Knie gesunken ist, erblickt er auf der Patena nichts als ein Stück Brot, welches sich aber wieder in das Fleisch des Kindes zurückverwandelt, als er es in den Mund nimmt. Joseph küßte darauf die drei Ritter, ernannte sie zu Dienern des hl. Grals und verschwand. Der Gral aber bot ihnen ein reiches Mahl.
Aber noch mehrere ganz gleiche Sagen mögen hier folgen, ehe daraus Schlüsse gezogen werden sollen.
Nach der Legende mischte sich ein Ungläubiger, als St.Basil einst das Abendmahl den Gläubigen verteilte, unter diese und sah, wie der Heilige ein Kind zerstückte und es unter die Anwesenden verteilte.
Der Ungläubige genoß ein Stück Fleisch und trank wahrhaftes Blut aus dem Kelche.     
?In einer syrischen Stadt wurde in der Kirche ein feierlicher Gottesdienst abgehalten. Ein Sarazene stellte sich in die Nähe des Altares, um Zeuge des christlichen Gottesdienstes zu sein. Da sah er, daß der Priester am Altar ein Knäblein tötete, es mit einem Messer in drei Teile zerschnitt, und diese auf die Patene legte, das ausströmende Blut aber in den Kelch goß. Darauf aß der Priester ein Stück von dem Kinde und trank von dessen Blut, auch gab er allen Anwesenden von dem Fleische und dem Blute zu genießen.
Entrüstet schalt der Sarazene den Priester einen Mörder, indem er auf die Gläubigen wies, die noch an dem blutigen Fleische kauten; doch der Geistliche sagte mit Ruhe, dies wäre nur Brot und Wein, welches consecrirt in das wahre Fleisch, in das wahre Blut Christi verwandelt worden wäre. Er, der Priester, aber sehe von diesem großen Geheimnis, das dem Sarazenen geoffenbart worden, mit seinen leiblichen Augen nichts, denn er erblickte fortwährend nur Brot und Wein.?
Aus dem Kloster Heisterbach erzählt Pater Cäsarius :
?Bei uns war ein Mönch, aus dem Schlosse Wolmenstein gebürtig, Namens Gottschalk, der las in der Christnacht-Messe auf einem Nebenaltar und hatte nach der Wandlung ein schönes Kind in den Händen.?
In der stillen Woche legte der Sachsenherzog Wittekind - der Sage nach Bettlerkleider an und mischte sich in Kaiser Karls Feldlager unter die Bettler, um das Lager auszukundschaften. Am Ostertage ließ der Kaiser in seinem Zelte Messe lesen. Da geschah ein Wunder. Als der Priester das Heiligtum emporhob, erblickte der Sachsenherzog darin ein lebendiges Kind. Dies fiel nur dem Wittekind auf, denn alle Anderen waren derlei wohl gewohnt. Er ward davon so ergriffen, daß er die Taufe verlangte. Dies wohl nur darum, weil man ihm gesagt haben wird, daß die christliche Kirche allein die Macht besitzt, als die ?alleinseligmachende? durch das Blut des stellvertretenden Opfers jeden von eigener Schuld rein zu waschen.
Eine andere, ganz merkwürdig ähnliche Opferhandlung, welche an einem Feste Maria Himmelfahrt stattfand, hat das Eigentümliche, daß der messelesende Priester, dem das Glück zu Teil wird, Christum in Gestalt eines Kindes in Händen zu halten, nur mit dem Aufgebote höchster Anstrengung das Meßopfer zu Ende führen konnte. Dies war der selige Johannes von Fermo oder Alvernia. Nur stammelnd vermochte er die Worte: ?hoc est enim corpus meum? hervorzubringen, worauf er in Ohnmacht fiel. Er mußte gelabt werden, worauf er sich so weit erholte, daß er das Opfer zu Ende bringen konnte, dann aber derart von Sinnen kam, daß er in die Sakristei zurück getragen werden mußte.
Dies beweist, daß selbst in jenen Tagen, an deren Sitten und Gewohnheiten wir den Maßstab unserer Sitten und Gewohnheiten anlegen dürfen, um sie nicht vollkommen mißzuverstehen, es trotzdem Priester gab, die nicht die seelische Kraft hatten, solch schreckliche Mysterien, die doch ihres Amtes waren, zu begehen.        
Ist durch diese kleine Auslese von Beispielen das altchristliche Mysterium des Meßopfers als ein im christlichen Altertume wirklich stattgehabtes Menschenopfer hingestellt, so treten noch andere Momente hinzu, welche auf der einmal gezeigten Spur weiterführen. Die auffallende Menge von menschlichen Leibern, Gerippen, Köpfen und anderen Körperteilen, die von Heiligen herrühren, der Umstand, daß von manchen Heiligen mehr als ein Körper vorhanden ist, berechtigt nicht, der Kirche - wie so oft geschieht- den Vorwurf des Betruges zu machen. Ein solcher allgemeiner Betrug wäre nur möglich gewesen, wenn die Geistlichkeit aus lauter irreligiös verschmutzten Individuen bestanden hätte, die Gesamt Christenheit hingegen aus durchwegs blindreligiösen Dummköpfen; welche sich von Jenen auf das Allerplumpeste hätten betören lassen. Solch eine Scheidung von Menschen eines Zeitalters in zwei sich völlig widersprechende Teile ist aber unmöglich, unhistorisch und unphilosophisch zugleich. Nimmt man dagegen an, daß das Christentum bei seinem Auftreten das Menschenopfer in allen damals bestehenden Religionen, vorfand, und es als eine, nach den damaligen Anschauungen, vollkommen sakrale Weihe auch in seinen Cultus hinüber nahm und erst mit der naturgemäß sich mächtig entwickelnden Milderung der Sitten das Menschenopfer aus den christlichen Mysterien, wie auch aus den anderen Gülten verschwand, so erklären sich von selbst die  Reliquien als Leiber in den altchristlichen Mysterien hingeopferten Menschen.
Da solche freiwillige Opferungen meist an dem Tage jener Heiligen stattfanden, welche Namenspatrone der Geopferten waren, mit welchen sie daher gleiche Namen trugen, so häuften sich nicht nur die Reliquien des einen oder anderen Märtyrers in sonst ganz unerklärlicher Menge , sondern es wuchsen auch die Mengen der gleichnamigen Heiligen ins Große, ohne daß man über dieselben sonst Näheres zu erfahren vermöchte. Es sei nur an die im ersten Abschnitt dieser Studie erwähnten vierunddreißig heiligen Mocluime und an die achtundfünfzig heiligen Mochuan, sowie an die zahllosen Peter, Johannes, Marien, Katharinen usw. erinnert.
Da in der Sprache der christlichen Mvstik Tod = Leben, Leben aber Tod bedeutet, so treten plötzlich die legendenhaften ?Todeserweckungen? in eine ganz eigenartige Bedeutung. Der Todestag eines Märtyrers galt als dessen Geburtstag zu neuem Leben, für welches er durch die Bluttaufe geweiht wurde. In diesem Verstande erhält die Stelle aus der Lebensbeschreibung des heiligen Franz von Assisi erst Klarheit, denn sonst lautete sie sehr unverständlich: ?Er (der Heilige) tötete oft jemand, nur um ihn wieder aufzuwecken, das will sagen, durch den Opfertod erweckte er jenen zum ewigen Leben. Die weiteren mystischen Bezeichnungen waren für die Kinderopfer ?Lämmer?, auch ?unschuldige Kinder?, für Erwachsene hingegen? Taufe?, ?Bluttaufe?, auch ?Hochzeit mit Christo oder Maria?, je nach dem. Wo die Legende von großen Märtyrergesellschaften spricht, z.B. von der aus 666 Köpfen bestehenden thebäischen Legion, von den elf tausend Jungfrauen der hl. Ursula, den ?unschuldigen Kindern? des bethlehemitischen Kindermordes usw., dort sind diese, als an große Opferstätten gebundene Massenansammlungen durch Opferhandlungen erst gemachter Märtyrer zu betrachten.
Die geopferten ?unschuldigen? Kinder wurden zu Engeln; die erwachsenen männlichen Individuen, die den Opfertod starben, bildeten die Scharen der benannten Märtyrer oder der unbenannten Mitglieder der thebäischen Legion.
Köln allein besitzt von diesen thebäischen Legionären nicht weniger als vierhundertundsechs in Särgen bewahrte Gerippe, deren Köpfe jedoch den Anschein machen, als wären sie von sieben- bis achtjährigen Kindern, was allerdings eher auf Kinder- als auf Männeropfer verwiese.
Weibliche Opfer wurden zu heiligen Katharinen (die Reinen ist der Sinn dieses Namens) oder zu einer der elftausend des Gefolges der Hl. Ursula. Allerdings waren dies ehemals nur ?elf?; nämlich Ursula und deren elf Gefährtinnen; aber sie wuchsen zur Zahl von elftausend heran, um Raum für die durch Opferung zuwachsenden Heiligen der Zukunft zu schaffen.
Die Jungfrauenopfer des christlichen Altertums schufen die Legende von der heiligen Katharina, welche Heilige im Sinne der Legende nie existierte, nicht von den Feinden des Christentums zur ?Blutzeugin? gemacht wurde, sondern durch Opferung in der Krypta des Katharinen-Klosters am Sinai in den blutigen Mysterien der Mönche dieses Klosters zur Heiligen gemacht wurde. Aber ?St. Katharina? (die Reine) ist kein Personen- sondern ein Gattungsname, der allen diesen Opfern gemeinsam beigelegt wurde.
Eine unabschätzbare Zahl von jungfräulichen Schwärmerinnen, welche zu periodisch wiederkehrenden Zeiten dem blutigen Mysterium verfielen, umfaßt dieser Name. Bezüglich der schon erwähnten elftausend Jungfrauen war Köln die Hauptopferstätte. Außer dem sogenannten ?Ursula Acker? auf den Entenphul in Köln, gab es daselbst noch einen gleichbenannten Platz an der Stelle, wo ehedem das Benedictinerstift zu den ?heiligen Maccabäern? stand. ?Hie Ursulae strages? war über dem Haupteingang zu lesen. Im ?Baumgarten?des Johanniter-Hospitals entdeckte man die Reliquien der heiligen Cordula, welche 1278 Albertus Magnus erhob und in einen Altar schloß; 1327 erhob man am gleichen Ort abermals mehrere Jungfrauenleiber. Das Frauenkloster Mariengarten, gleichfalls wie- alle vorbenannten Orte in Köln, besaß nebst vielen Reliquien eine bedeutende Zahl der ?Elftausend?. Ebenfalls in Köln bewahrte mehrere Reliquien derselben Gesellschaft die Kirche des Nonnenklosters zu St.Nicolaus; gleichfalls noch die Kirchen der Klöster der Carmeliter und der Kreuzbrüder, sämtlich in Köln.
Aber nicht nur Köln allein besitzt Leiber von den ?Elftausen?; auch anderswo sind solche zu finden. So in der Stephanskirche in Wien, in Basel, in Feldkirch, zu Lauf bei Nürnberg, zu Ancona, zu Assisi, zu Neapel und an so manch anderen hier nicht genannten Orten. Auch schwangere Frauen opferte der Cultus, bei welchem es sich eigentlich um das noch ungeborene Kind gehandelt hat. Die Reliquien der ?unschuldigen ? Kinder sind womöglich noch zahlreicher als jene der Jungfrauen. Sogenannte, vom bethlehemischen Kindermord herrührende ?unschuldige Kinder ? welche aber ebenfalls nichts Anderes als mystische Opfer waren, zeigt man in Hannover, ?eines unschuldigen Kindleins Gebein?, in der Sebalduskirche in Nürnberg, ebenso in der Dominikanerkirche derselben Stadt, ferner zu München, zu St. Stephan in Wien, bei den Kapuzinern in Wien, desgleichen viele in Rom, Neapel, dreiunddreißig ?von den Unschuldigen? zu Bologna, Venedig, Speyer und an vielen, vielen weiteren Orten. Aber auch andere Reliquien geben Kunde von blutigen Opfern. An solche, welche in der Charwoche den leidenden Christus im furchtbarsten Ernste spielten und wirklich gekreuzigt wurden, erinnern Nägel, Dornenkronen, die bekannten Passionswerkzeuge und andere Erinnerungsgegenstände, wie Grabtücher, Grabcapellen u.dgl. Dann die Schwerter Petri (Sienna, Venedig, St. Denya ) ebenso die vielen Abendmahlstiche (eigentlich Schlachtbänke) wie die silberne Tafel in Rom, Messer des letzten Abendmahles, eigentlich die Opfermesser. Von letzterem besitzt Klosterneuburg bei Wien deren zwei. St. Stephan in Wien eines, ebenso St. Marco in Venedig eines und zwei Büchsen mit Blut, das zwar angeblich von Christi Kreuzestod stammen soll, aber höchst wahrscheinlich als ?heiliges Blut? zum Gedenken solcher Menschenopfer aufbewahrt wurde.
Nach all dem Gesagten dürfte es niemandem befremdlich erscheinen, auch dort dem Opfertode Geweihte zu erblicken, wo von Gelübden gesprochen wird, welche Eltern taten, um ihre Kinder ?dem Himmel zu weihen.? Heute versteht man darunter Knaben und Mädchen, dem geistlichen Stande oder dem Kloster gewidmet; in altchristlichen Tagen jedoch waren wohl diese Opfer im wirklichen Verstande des Wortes dem blutigen Opfertode verfallen. Ganz im selben Sinne sind die vielen ?Maria Verlobten? und ?Christusbräute? zu verstehen, sobald es sich um frühchristliche Beispiele handelt.
Grimms Märchen erzählen von einem Knaben, der in einer Kirche verpflegt wurde und vor einem Marienbilde regelmäßig seine Andacht verrichtete. Einst soll ihn die Mutter Gottes für den nächsten Sonntag zur Hochzeit eingeladen haben, nachdem sie sich mit ihm förmlich verlobt hatte. Als er an dem bezeichneten Sonntag das Abendmahl am Altare genossen hatte, starb er daselbst eines plötzlichen Todes; Maria hatte sich ihrem Verlobten vermählt.
Dies scheint darauf hinzudeuten, daß man in Kirchen und Klöstern Kinder vorrätig hielt, um selbe an besonderen Festtagen zu opfern. Dies wird durch nachfolgendes Märchen noch wahrscheinlichem welches ebenfalls Grimm erzählt.  
Ein armer Mann, der sein Kind nicht mehr ernähren konnte, ging in den Wald und wollte sich erhängen. Da kam eine schwarze Frau und sagte ihm , sie sei die Jungfrau Maria, er solle ihr sein Kind bringen, sie wolle es gut versorgen. Der Mann willigte ein, brachte das Kind, ein dreijähriges Mädchen, das von Maria in den Himmel mitgenommen wurde. Dort ging es dem Kinde wohl, denn seine Kleider waren kostbar und die Engel spielten mit ihm. Als es vierzehn Jahre alt geworden war, mußte Maria verreisen, gab dem Mädchen die Schlüssel zu dreizehn Türen mit dem Verbote, die dreizehnte Tür aufzuschließen. Alle Tage öffnete es eine Tür. Das waren die Wohnungen der Apostel, wohin auch die Engel das Mädchen begleiteten. Am dreizehnten Tage öffnete es trotz der Warnung der Engel auch die verbotene Tür und sah erstaunt die Wohnung der Dreifaltigkeit im goldigsten Glänze. Das Mädchen rührte an den Glanz, da ward sein Finger ganz golden und dadurch der heimkehrenden Maria zum Verräter. Die Sünderin ward nun aus dem Himmel verstoßen, weil sie die Gottesmutter belogen hatte und wurde überdies zur Strafe der Sprache beraubt. Ein Königssohn heiratete sie. Als das erste Kind geboren war, da kam Maria und fragte sie, ob sie die dreizehnte Tür geöffnet hätte; doch die Verstockte verneinte. Da nahm Maria das Kind weg. So gings auch beim zweiten wie beim dritten Kinde. Da trat, wie bei allen ähnlichen Märchen der Moment ein, wo die Königin als Kindesmörderin auf dem Scheiterhaufen sterben sollte. Schon züngelten die Flammen empor, als die Unglückliche Reue über ihr Tun empfand; sofort erlöschten die Flammen, Maria brachte die drei Kinder zurück, auch die Sprache gewann die Königin wieder.
Eine andere etwas undeutlich gewordene Sage berichtet:
Einst hatte man in der Krypta des heiligen Bavo einen Leichendienst gehalten, und nach dessen Beendigung die Türen geschlossen. Drei Kinder, welche sich verspätet hatten, wurden zufällig eingeschlossen, und trotz ihres Schreiens und Weinens nicht bemerkt; sie waren gezwungen, die Nacht in der Krypta zu verbringen. Ängstlich krochen alle drei unter eine Totenbahre, über welche das Bahrtuch noch gebreitet war und mit dem Ende zur Erde hing. Gegen Mitternacht regte es sich aller Orten und Enden in der Krypta, eine Menge von Priestern und Chorknaben erschien, welche processionsweise rund um die Krypta ging. Als der Küster am Morgen wieder in die Krypta kam, fand er die Kinder noch unter der Bahre; das Eine war vor Schreck gestorben, das Zweite war am selben Tage noch tötlich krank und starb bald nachher, das Dritte kam mit dem Leben davon und erzählte später das Geschaute.
Eine Vision oder ein Geisterspuk ist hier nicht vorauszusetzen, sondern gewiß die Anschauung eines wirklich stattgefundenen gräßlichen Ereignisses. Eine Leichenfeier kann es nicht gewesen sein, ein gewöhnlicher Gottesdienst auch nicht, denn die Krypta war gesperrt, folglich waren Laien ausgeschlossen; also hatte man ein Mysterium vor Geweihten gefeiert. Es ist sehr leicht möglich, daß der Tod der beiden Knaben nicht die Folge des überstandenen Schreckens war, sondern heimlich und absichtlich erfolgte, um ihnen ewiges Stillschweigen aufzuerlegen. Der Dritte mochte dem Bereiche der Macht des besorgten Clerus entrückt worden sein, denn die Sage meldet ausdrücklich, daß er später (also nicht sofort) das Geschaute erzählte. Nun erfährt man aber nicht, was er eigentlich erschaute, weshalb wohl angenommen werden darf, daß man um die Sache zu vertuschen, seine Mitteilungen entkräftete und als eine Vision darzustellen suchte.
Dies ebenso wie in dem vorerzählten Märchen von dem ?Marienkind?, wie in vielen diesbezüglichen Märchen und Sagen, welche Raummangels wegen hier übergangen werden müssen, welche aber die Annahme nahe legen, daß mit dem Erblassen des Fanatismus, der freiwillige Selbstopfer den Mysterien zuführte, solche gekauft, geraubt und eigens aufgezogen wurden um für Opferzwecke zu dienen, bis diese Mysterien endlich selber aufhörten.
So ward von Maria (der Oberin eines Klosters) ein Mädchen dem armen Vater abgekauft, in den Himmel (das Kloster) geführt, wo die Nonnen oder Mönche mit ihm spielten. Es sollte erst mit Eintreten der Pubertät geopfert werden. Da entdeckte es zufällig die Opferkammer und alles wurde ihm klar. Nur durch das Versprechen, die drei ersten Früchte seiner künftigen Ehe zu opfern, rettete es das Leben. Erst um sich vor dem Hexentode zu retten, brach die Unglückliche das Schweigen, da erhielt sie die Kinder zurück.
Was aber haben dann die Knaben in St.Bavos Krypta gesehen ? Solches mögen alte Bilder erklären. So sieht man auf einem Bilde der Hl.Bathilde diese nach dem Altar gewendet, auf dem zwei Lichter brennen, dessen Altargemälde die Jungfrau mit dem Kinde ist. Oben über dem Altare ist galerieartig ein Querbalken angebracht, an dem drei kleine nackte Figuren hängen, so daß für eine vierte noch Platz bleibt. Eine Leiter ist an den Galgen gelehnt, oben steht der Henker, eben die vierte, ebenfalls nackte Figur erwartend, welche von zwei Engeln (also Mönchen) über die Leiter dem Henker zugeführt wird.
Nürnberg besaß ehemals in einer Privatsammlung ein Bild, welches wie folgt beschrieben wird: ?In einem wannenartigen Behältnis liegt eine junge bekleidete weibliche Gestalt, in deren Hals ein Einschnitt gemacht wird, aus welchem Blut rinnt. Eine Schar von Engeln (Mönche ?) umgeben das Behältnis. Vorne läuft aus zwei in dem Behältnis angebrachten Öffnungen Blut, welches von zwei knieenden männlichen Gestalten in Gefäßen aufgefangen wird, während zwei weibliche Figuren, vor dem Behältnis kniend, die in demselben Liegende andächtig zu verehren scheinen.
An eine Ermordung im Bade ist nicht zu denken, denn in der Wanne ist kein Wasser, und die Gestalt ist bekleidet, es ist dies die Darstellung eines freiwilligen Opfertodes im Sinne der Mystik.
Noch viel mehr der einschlägigen Bildwerke, z.B. jenes in der Krypta des Hl. Laurentius in Dublin u.a. wären zu erwähnen, doch überschritte  Solches weit, weit die engen Grenzen, die uns hier gezogen
Sind, und dies umso mehr, als gerade das oben erwähnte, wannenartige Opfergefäß uns wieder zum heiligen Gral in seiner Bedeutung als Taufbecken, zur ?Blutttaufe? zurückleitet.
Der Wannen, Kessel, Mulden und Schüsseln, sowie der oft silbernen sog. Tische des ?letzten Abendmahls? und ähnlicher noch bewahrter Reliquien bediente sich die altchristliche Mystik zu Menschenopfern in dem Sinne, der in vorliegender Studie schön erörtert wurde. Solcher Schüsseln nun gibt es noch einige außer der schon gedachten und direkt für den heiligen Gral gehaltenen Gralsschüssel in Genua. Eine ähnliche besitzt Lyon. Nach Kuhns märkischen Sagen bewahrte eine Kirche von Tucheband als Wahrzeichen zwei messingene Becken, welche an der Außenseite eingemauert waren. Ebenso sind in der Schloßkirche zu Querfurt oben auf dem Chore mittelst eiserner Ketten kupferne Kessel im steinernen Schwibbogen eingeschmiedet. Nach Kayßlers Reiseschriften stand einst an einer Stelle der Peterskirche in Rom ein metallenes Gefäß, in dem das Blut von Märtyrern soll aufgefangen worden sein; es ward aber später von seinem Standorte entfernt und ist eingeschlossen. Zwei silberne Schüsseln und eine krystallene Schale, in welcher das Blut des heiligen Simin aufgefangen worden sein soll, zeigt man im Kirchenschatz von Trient. Auch die Liebfrauenkirche zu Brügge zeigt eingemauert solch, eine Schüssel, einen Schöpflöffel, darüber zwei Knochen und eine Maurerkelle als Wahrzeichen. Zweifellos waren die als Erinnerungen an solche Mysterien eingemauerten Kessel nur zu Wahrzeichen, besser gesagt zu Heilszeichen (Talismanen) der betreffenden Ortschaft geworden, und erst spätere Tage erfanden die davon ausgehenden Lokalsagen, als der wahre Sinn dieser Heilszeichen vergessen worden war, der sichtlich nur den Eingeweihten als Geheimnis bekannt war. Sagt doch schon Chrystostomus (Homil.23): ?Die Mysterien vollziehen wir bei verschlossenen Türen, nachdem die Uneingeweihten entfernt sind.?
Nun ist aber wohl zu beachten, daß es nicht Zufall sein kann, daß die Lyoner ihren heiligen Gral in der dem heiligen Johann Babtist geweihten Kathedrale und die Genueser den ihrigen in der Capelle Johannes des Täufers in der Kathedrale St.Lorenz bewahren und dafür als Grund angeben, das Haupt des Täufers habe nach dessen Enthauptung in dieser Schüssel gelegen. Dadurch wird deren Bezug zur Bluttaufe erst recht klar. Auch sind diese und die anderen in diese Gruppe zählenden Reliquien echt wenn man bedenkt, daß nicht Christi Blut, sondern das von vielen stellvertretenden Sühnopfern es war, welches in jenen ?heiligen Grälen? aufgefangen mit Hilfe jener zahlreichen Marterwerkzeuge im frommen Wahne vergossen wurde. Der heilige Gral (ohne Rücksicht auf die vielen Exemplare desselben) war also nicht bloß Abendmahlsschüssel, in der das Osterlamm lag, mit den sich Christus zuerst und nach ihm die vielen Blutzeugen beiderlei Geschlechts verglichen haben, sondern es war auch das Taufbecken, in welchem Wortlaute der Apostel entsprechend, ?wir mit Jesu durch den Tod begraben werden, um geistig wieder aufzuerstehen.? Dadurch ist Johannes Babtist auch zum ?Bluttäufer? geworden, wie es ja auch von Christus heißt, ?er werde wiederkommen, um mit Blut zu taufen.?
Der unerschütterliche Glaube an die magische Wirksamkeit und Heilsspendung des christlichen Menschenopfers, bzw. des freiwilligen oder erzwungenen Märtyrertodes war eine Vorstellung einer bestimmten Epoche der Entwicklung des Menschentums, der sich niemand zu entziehen vermochte, auch nicht das Christentum und dessen erste Theologen und Mystagogen, weshalb diesem daraus auch keinesfalls der Vorwurf, am wenigsten im gehässigen Sinne gemacht werden kann; dies ebenso wenig, als ein künftiges Jahrtausend dazu ein Recht hätte, unsere Zeit mit seinen dann erst gültigen Maßstäben zu messen.
Zum Beweis, wie tief eingewurzelt dieser unerschütterliche Glaube an das Verdienstliche des freiwilligen Opfertodes war, so wie an das vor dem also Geopferten vergossene Blut, welches als Heilsmittel auch anderen zu Gute kommt, deren Sünden, leibliche Gebrechen und Unglück aller Art dadurch abgewendet werden können, zum Beweise wie unerschütterlich fest dieser Wunderglaube war, welcher so viele Leben von Schwärmern des männlichen wie weiblichen Geschlechtes forderte, zum Beweise dessen mag die rührende Geschichte des ?lahmen Heinrich? dienen, welche erst in dieser Auffassung überhaupt verständlich wird.
Wo ein solcher Glaube so tief und so innig mit der Volksseele verwachsen erscheint, dort ist er auch geadelt und niemand darf es wagen, die Vollstrecker der Mysterien solchen Glaubens zu schmähen, denn sie handelten in der festen Überzeugung von der Heiligkeit der zu vollziehenden Tat. Und in diesem Sinne sind sogar und ganz gewiß auch unsere Zeiten, trotz der so grundverschiedenen Anschauungen von heute gegen damals, jene Reliquien ehrwürdig und weit erhaben über Spott und Verunglimpfung, wenngleich wir nicht mehr an deren Heiligkeit glauben. Sie sind ebenso Marksteine auf dem Wunder- und Wanderweg der Kulturentwicklung der Menschheit wie die Kriegsmaschinen oder die Ackergeräte der verschiedenen Völker und Zeiten, von welchem Gesichtspunkte aus auch diese Studie betrachtet sein will.
Und so wäre denn diese Studie am Omega der Abendmahlsschüssel angelangt, nachdem sie beim Alpha des Bluttaufbeckens begonnen. Die Vorstellungen, die Bilder der einzelnen Religionsmysterien scheinen zwar voneinander abzuweichen, aber im Wesen sind sie doch einander verwandt, in dem Glauben an ein vergeistigtes Leben nach dem Tode, wodurch dieser eben als die eigentliche Geburt zur ewigen Seligkeit erkannt wird.

?Das Weltschiff, das als Seelen- oder Totenschiff durch den Tierkreis fährt, ist die Erde selber, die das Samenkorn vor der Verwesung rettet; ist das Grab, das durch Wiedergeburt den Menschen aus den Banden des Todes befreit; ist der Mutterschoß, der das Geschlecht vor dem Untergange rettet; ist der Winter, der alle erstorbenen Erdkräfte zum Wiederleben vorbereitet; ist der Kessel der Ceridwen, denn
?Wie du Kinder und Früchte erzeugest im Überfluß, here Göttin, Dein allein ist das Recht, das Leben zu geben und zu nehmen!?

 

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